Die Seidenstickerin
die inzwischen Königin von Frankreich war, um seine Freilassung zu erreichen.
Mittlerweile besaß Jeanne mehr als genug Selbstvertrauen. Was aber noch wichtiger war – sie übernahm in Eigenverantwortung die Verwaltung und die Finanzen des Herzogtums Blois und die der Stadt Orléans, weil Louis’ Besitz seit seiner Verhaftung beschlagnahmt war. Überaus klug und geschickt vertrat Jeanne die Interessen ihres Gatten, und es gelang ihr, viele brennende Fragen zu klären, die Louis ohne ihr Eingreifen ruiniert hätten. Die Zeit verging, und Louis d’Orléans war von Charles VIII. freigelassen worden, den die Politik seiner Schwester verärgert hatte.
Nun war alles wieder in Frage gestellt. Louis d’Orléans wurde König und musste, damit Frankreich die Bretagne behalten konnte, die Witwe Anne heiraten, die gerade wieder auf ihr Schloss in Nantes zurückgekehrt war in der Hoffnung, dass sich alles zu ihren Gunsten entwickelte und sich der neue König von seiner Frau scheiden ließe.
Jeanne hatte auf der Anklagebank Platz genommen und fühlte sich erschöpft. Seit Louis öffentlich bekannt gegeben hatte, dass er ihre Ehe annullieren lassen wollte, war ihr Schlaf so leicht, dass sie auf jede noch so schwache Veränderung ihrer Atmung reagierte. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, um sich ein wenig auszuruhen, überkam sie eine ungreifbare Angst, und anstatt zu schlafen, starrte sie vor sich hin und grübelte über die grausamen Erinnerungen, die sie nicht vergessen konnte.
Zusammengekauert hockte sie am Ende der Bank. Jeanne – die Angeklagte! Ja, sie wurde angeklagt, in den zwanzig Jahren ihrer Verbindung mit Louis nicht Mutter geworden zu sein. Angeklagt, weil sie hässlich, bucklig und missgestaltet war; angeklagt, weil sie deshalb nicht die Rolle einer Königin von Frankreich spielen konnte, obwohl sie dazu sehr wahrscheinlich wesentlich besser in der Lage gewesen wäre als viele andere Kandidatinnen.
All diese Anklagen zermarterten ihr das Hirn. Angeklagt! Schuldig! Sie! Die sanfte Jeanne, die es sich nicht einmal erlauben konnte, ehebrecherisch zu sein und deren einzige Koketterie darin bestand, dass sie – weder berechnend und meistens nicht einmal auf eine Antwort hoffend – denen, die sie liebte, ein herzliches Lächeln schenkte. Das Geschenk eines Lächelns, das nichts anderes war als die verzweifelte Suche nach einem Funken Freude.
Und doch konnte sie mit dieser ganzen Liebe, die sie unbewusst auf die anderen übertrug, weder die Masse noch die Öffentlichkeit oder den König für sich einnehmen, der wie mit Blindheit geschlagen diesen unendlich kostbaren Schatz verlieren würde!
Gütiger Himmel! Jeanne schauderte noch immer bei dem Gedanken an diese zwanzig Jahre, in denen ein paar Nächte, die nicht zu einer Mutterschaft geführt hatten, alles hätten retten können. Doch leider waren diese Nächte grässlich und fruchtlos gewesen, und Jeanne konnte sich nur an äußerst traurige Momente erinnern.
Trotz ihres Kummers und der Schmerzen, die ihren Körper immer wieder an anderer Stelle heimsuchten, beschloss Jeanne, sich nichts gefallen zu lassen. Wenn ihr Louis schon den Titel einer Königin von Frankreich verweigerte, musste er wenigstens beweisen, dass die Ehe nie vollzogen worden war.
Seine Ungeduld, mit der er die Angelegenheit zu Ende bringen wollte, war nur zu verständlich, hatte ihm Königin Anne doch nur ein Jahr zugestanden, um sich von Jeanne zu befreien. Louis hatte allerdings kein ganz so schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte, dass diese Eheschließung ja im Interesse des ganzen Landes lag. Sollte Anne einen Rückzieher machen, riskierte sie, alles zu verlieren. Der Vertrag, der den Nachfolger von Charles VIII. bestimmte, dessen Witwe zu ehelichen, um die endgültige Anbindung der Bretagne an Frankreich zu garantieren, war unumgänglich. Besser hätte er sich gar nicht rechtfertigen können.
Jeanne wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie durfte um keinen Preis aufgeben. Und sie würde sich nicht beugen, sondern würdevoll und standhaft bleiben und die passenden Worte sagen, umso mehr als Louis und seine Berater fest damit rechneten, dass ihr bereits bei den ersten Verhandlungen die Kräfte ausgehen würden.
Jeanne musste sie mit ihrer Energie überraschen und durch ihre Entschlossenheit, mit der sie sich selbst verteidigte, weil sie sich auf niemand anders verlassen durfte, aus der Fassung bringen.
Schließlich war es doch nur allzu verständlich, dass sich in
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