Die Seidenstickerin
diesem ebenso plötzlichen wie heiklen Fall sämtliche Richter auf die Seite des Königs gestellt hatten und dass sich das Gericht ausschließlich aus seinen Freunden zusammensetzte. Abgesehen von dem kleinen Advokaten Berthoulas, einem unbedeutenden Juristen, der sich wenig Gedanken um seine Beförderung machte, war Jeanne auf sich allein gestellt.
Auf der gegnerischen Seite, die nur so vor königlichen Ratgebern strotzte, fanden sich in vorderster Reihe Louis d’Amboise, Bischof von Albi, und sein Bruder, der Minister Georges d’Amboise, alle beide große Günstlinge des Königs.
In der zweiten Reihe saß der getreue La Trémoille, der Jeanne lediglich einen angeblich gütlichen, in Wirklichkeit aber hinterhältigen Vorschlag machte, den sie aber sofort abgelehnt hatte, weil sie damit indirekt zugegeben hätte, dass kein intimer Verkehr zwischen den Ehegatten stattgefunden habe.
Aus Rom kam dann noch ein portugiesischer Prälat dazu, der dem Papst voll und ganz ergeben war und der von Philippe du Luxembourg unterstützt wurde, einem Eiferer, der Jeanne grausam zusetzte, die aber mehr und mehr entschlossen schien zu beweisen, dass ihre Ehe vollzogen worden war.
Der Prozess wurde in Saint-Gatien de Tours eröffnet, und um das Ansehen des Königs von Frankreich nicht zu beschädigen, dessen Glanz und Ehre gewahrt werden sollten, gab es keine Begegnung zwischen Jeanne und ihrem Gatten.
Der Prozess, der so überstürzt begonnen worden war, wurde durch Jeannes erbitterte Einwände verschleppt. Nachdem sie vor ein Gericht gestellt wurde, das sein Urteil von vornherein zugunsten des Königs gefällt hatte, stellte sie dafür kategorisch die Beweiskraft der Dokumente in Frage, die sie gründlich studiert hatte.
Zur allgemeinen Überraschung lehnte sie die Dokumente en bloc ab und verblüffte damit Richter, Geschworene und Publikum gleichermaßen. Der König selbst war so sehr von der unerwarteten Reaktion seiner Frau konsterniert, dass er seine Pläne für eine Italienexpedition auf unbestimmte Zeit verschob.
So also hatte dieser lange und skandalöse Prozess begonnen, und niemand wusste so recht, wie Jeanne den ganzen Mut aufbrachte, weil nun alles auf einmal auf sie einschlug, was sie zutiefst verabscheute: Gerüchte, Hetze, Hohn, verletzende und harte Bemerkungen, schneidende Widerworte und verleumderische Reden. Nichts davon konnte sie jedoch dazu bringen aufzugeben, und sie setzte sich mit aller Entschlossenheit zur Wehr.
In das allgemeine Staunen mischten sich nun auch Zweifel. Man hatte sie für kränklich, schwach und empfindlich gehalten, für jemanden, der eher zu Resignation als zu kämpferischem Handeln neigte, und nun erwies sie sich stattdessen als begeisterungsfähig, debattierte, verhandelte hartnäckig und leistete zum ersten Mal in ihrem Leben Widerstand.
Zwar hatte das Gericht dem Beispiel der königlichen Ratgeber folgend angenommen, dass Jeanne vor so viel Grausamkeit zurückschrecken und den Beweis nicht antreten würde, der viel zu schwer für ihre armen Schultern war. Überrascht musste es nun aber zu einer anderen Strategie übergehen und, weil sie entschlossen war, der Anklage die Stirn zu bieten, Zeugen gegen sie aufbieten, die jedes ihrer Worte widerlegen sollten.
Was eigentlich nicht weiter schwierig hätte sein dürfen, nicht zuletzt weil kein Advokat außer dem unbedeutenden kleinen Berthoulas ihre Verteidigung übernehmen wollte; wer Partei für Jeanne ergriff, ging in Opposition zum König, und wer sich ihm gegenüber feindlich zeigte, ruinierte zwangsläufig seine Karriere.
Papst Alexander in Rom fand den Fall sehr unklar und verlangte aus Angst, er könne sich in die Irre leiten lassen, ausreichende Beweise, um den Prozess abzuschließen. Aber um nicht das Missfallen des Königs von Frankreich zu erregen und es sich nicht aus Ungeschicklichkeit mit ihm, den er vielleicht noch für seine eigenen Angelegenheiten brauchte, zu verderben, musste er sich verständnisvoll zeigen, wollte aber nicht die alleinige Verantwortung für die Sache übernehmen.
Also setzte er eine Kardinalskommission ein und übergab den Fall einem Kirchengericht, das in Frankreich tagen sollte.
Für Louis XII. begann der Prozess mit einem Rückschlag, weil er gleich den ersten Teil verlor. Der Nicht-Einwilligung in die Ehe wurde nicht stattgegeben, weil mittlerweile zwanzig Jahre vergangen waren und Louis dieses Vorgehen am Tag nach der offiziellen Vereinigung hätte vornehmen müssen. Die Advokaten des
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