Die Seidenstickerin
ist aber nur eine Vermutung. Tatsache ist dagegen, dass sie Eure Tochter besser kennen lernen will.«
»Nun, dann wird sich meine Tochter eben demnächst an den Hof begeben.«
In Wirklichkeit stellte dies das nächste große Problem für Isabelle dar. Die widerspenstige Constance würde sich niemals nach Amboise bringen lassen – nicht von ihrer Mutter und erst recht nicht von Julien. Auch in dieser heiklen Angelegenheit war sie also auf Jeans Hilfe angewiesen.
Jean spürte, wie angespannt die Situation war, und machte einen behutsamen Vorschlag.
»Möchtest du vielleicht, dass ich sie hinbringe, wenn ich aus Rom zurück bin? Später muss ich nach Dijon, anschließend nach Lyon und Marseille.«
»Würdest du das wirklich machen?«
»Vielleicht reise ich sogar mit dem königlichen Heer weiter, wenn sein Aufbruch nach Italien bevorsteht! Wisst Ihr darüber Näheres, Julien?«
»Nein, das genaue Datum kenne ich nicht; aber es kann nicht mehr lange dauern.«
»Gut, dann bleibe ich eben länger als vorgesehen in Amboise. So kann ich ein Auge auf Constance haben und vielleicht sogar die Namen der Bewerber in Erfahrung bringen, die die Königin für sie ausgesucht hat.«
»Lässt du mich wissen, wann es so weit ist, Jean?«
»Sobald ich es weiß, schicke ich dir einen Boten.«
»Ach Gott! Was wird sie nur dazu sagen?«
Als Julien sah, wie betrübt seine Gattin war, ließ er sich tatsächlich zu einem Anflug von Mitgefühl hinreißen.
»Ich bitte Euch, Isabelle, macht Euch keine Sorgen um Eure Tochter; sie ist nun einmal in dem Alter, in dem man Zofe der Königin wird.«
Dann trat er zu ihr und nahm ihre Hand – eine Geste, die er sonst nie in Gegenwart Dritter machte, und versuchte sie zu beruhigen.
»Lasst uns ehrlich sein, was Constance betrifft«, fuhr er fort. »Vermutlich wird die Königin bei ihr etwas erreichen, was Ihr schon lange vergeblich versucht. Constance ist ein widerspenstiges, sonderbares und sprunghaftes junges Mädchen. Um sie zu bändigen, braucht es jemanden, der stärker ist als Ihr. Und das wisst Ihr auch sehr gut, meine Liebe.«
An dieser äußerst selten von ihm gebrauchten zärtlichen Anrede erkannte Isabelle, dass Julien gute Laune hatte. Wahrscheinlich, so vermutete sie, weil er Constance gern nach Amboise schickte, damit sie ihn nicht mehr störte. Wenn dann etwas später auch noch Olivier in einen Orden eintreten sollte, könnte er vielleicht ein neues Leben beginnen. Wer fragte schon danach, wie sich Isabelle dabei fühlte?
Zur gleichen Zeit ritt Constance, die schon längst die stets heruntergelassene Zugbrücke passiert und die Quelle hinter sich gelassen hatte, von der ein kleiner Bach zum Schloss floss, an den Wassergräben mit den Mühlen, den Tuchmachern und den Leinenverkäufern entlang.
Dann galoppierte sie weiter Richtung Wald von Douces und ließ das Kloster Saint-Maur mit seinen lang gestreckten Gebäuden und der Kirche mit dem kleinen grauen Schieferturm links liegen.
Constance mochte die waldreiche Gegend von Angers viel lieber als die Heimat ihrer Mutter im Burgund, wo das Schloss de La Baume ganz versteckt in düsteren und reichlich unsicheren Wäldern lag.
Im Anjou war es dagegen weiträumig und hell. Der Himmel blieb stets klar, und die Loire floss friedlich dahin. Große Weiher säumten die Straßen, und wenn man bis ins Val de Loire vordrang, traf man auf lichte Wälder und ausgedehnte Flächen mit Schilf, Heidekraut und grünem Moos zwischen silbernen Birkenwäldchen mit großen sonnendurchfluteten Lichtungen.
Constance ritt gerade auf den Waldrand zu, als sie plötzlich anhielt. Vor ihr war eine Gestalt aufgetaucht, die sehr langsam ging, vermutlich erschöpft von einem langen und ermüdenden Weg.
Als sie ihr Pferd wieder im Schritt gehen ließ, erkannte sie ein junges Mädchen etwa in ihrem Alter, das jetzt auf sie zukam. Constance wollte sie vorbeilassen und achtete gar nicht darauf, dass sie auf dem Weg zum Schloss war.
Das junge Mädchen trat zur Seite, damit ihr das Pferd nicht zu nahe kam. Constance hielt an und musterte sie eine Weile schweigend, bis die andere einen Arm ausstreckte und mit dem Finger auf das Kloster Saint-Maur deutete.
»Ich bin müde und würde gern in einem Pferde- oder Kuhstall schlafen. Das Kloster dahinten wäre wahrscheinlich gar nicht schlecht, aber ich mag keine Klöster und keine Kirchenleute.«
»Aha! Und warum nicht?«
»Weil mich die Nonnen aus dem Kloster der Barmherzigen Schwestern in der Nähe von Amboise
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