Die Seidenstickerin
Unterhaltung fort.
»Ich verstehe gar nicht, wie meine Mutter bei einer solchen Geheimniskrämerei mitmachen konnte?«
»Das ist bestimmt wegen Dame Bertrande.«
»Wer ist denn nun wieder Dame Bertrande?«
»Sie ist die Frau von Meister Coëtivy. Sie verlässt Nantes nie. Sie vergöttert Jacquou, aber sie kennt die Wahrheit nicht.«
Constance nahm die gleiche Haltung wie Alix ein und schlang ihre runden weißen Arme, die aus einem Wollcape herausschauten, um ihre Knie.
»Dann verheimlicht meine Mutter also Jacquous Abstammung genauso wie sie meine lange verheimlicht hat.«
»Deine auch! Warum denn das? Weißt du etwa auch nicht, wer dein Vater ist?«
»Ich hab es gerade erst erfahren.«
Jetzt war Alix an der Reihe mit »Ah« und »Oh«, woran man sah, dass sie sich auch für die Geschichte ihrer neuen Freundin interessierte.
»Mein Vater ist Italiener«, erklärte Constance. »Er heißt Sforza. Bisher wusste ich nur, dass er aus Neapel oder Mailand kommt oder vielleicht aus Florenz. Jetzt habe ich aber eben erfahren, dass er nach Österreich geflüchtet ist, weil der König von Frankreich hinter ihm her ist. Meine Mutter hat ihn bei einer Expedition kennen gelernt, die sie mit Jean und Louis d’Orleáns unternommen hat.«
»Dem König von Frankreich!«
Nun genoss Constance den bewundernden Blick von Alix.
»Es ist schon komisch«, meinte sie. »Als ich nicht wusste, wer er ist, wollte ich ihm unbedingt begegnen. Aber jetzt, nachdem mir meine Mutter seinen Namen gesagt hat, will ich ihn nicht mehr sehen. Warum hat er wohl nie versucht, mich kennen zu lernen?«
Sie stand auf und schüttelte die Falten aus ihrem Rock, die er vom Sitzen bekommen hatte.
»Willst du nicht vielleicht doch mit mir ins Schloss kommen?«
»Begegne ich dann deiner Mutter?«
»Wahrscheinlich schon, auch wenn es Anselme gelingen sollte, dich im Stall zu verstecken. Meine Mutter sieht jeden Morgen und jeden Abend nach ihrer Stute. Aber ich hab eine bessere Idee. Komm, sitz hinter mir auf, ich bring dich zu einem Forstaufseher, den ich gut kenne. Er und seine Frau können dich ein paar Tage beherbergen. Morgen besuche ich dich und bring dir etwas Geld, damit du deine Reise nach Tours fortsetzen kannst.«
Als Constance auf den Schlosshof ritt, kam Anselme angelaufen, um ihr die Zügel von Salomé abzunehmen.
»Demoiselle Constance«, rief er mit weit aufgerissenen blauen Augen und seinen roten Haaren, die ihm wie immer zu Berge standen, und warf die Arme in die Luft, »ist Euch die Stute heute nicht komisch vorgekommen? Ich hab Euch erst gesehen, als Ihr schon unterwegs wart; aber heut Morgen fand ich sie ziemlich verschlafen.«
»Und wenn schon, Anselme! Ich glaube, ich habe sie ordentlich aufgeweckt, jedenfalls sind wir wie die Wilden galoppiert. Sieh doch, sie scheint mir sehr zufrieden zu sein und will wahrscheinlich nur noch eine große Portion Hafer.«
»Bestimmt«, sagte der Kutscher, »ganz bestimmt.«
Dann sah er das junge Mädchen kopfschüttelnd an.
»Ich meine, Eure Mutter erwartet Euch im großen Salon, Demoiselle Constance.«
»Ist sie allein?«
»Nein. Monsieur Jean ist bei ihr.«
Constance wirkte erleichtert. Sie winkte Anselme zum Abschied und ging dann zum Hauptportal, das man über eine große Freitreppe mit acht Steinstufen erreichte.
Wie alle Schlösser des Landadels war auch Doué sehr stattlich, rustikal und von behäbigem Komfort. Außerdem sah es – wie die meisten anderen auch – noch immer wie eine Festung aus. Bisher hatte man keine großen Fenster in die Mauern gesetzt oder die Wassergräben zu Terrassen umgebaut. Dabei hatte Königin Anne schon längst mit dem Umbau ihrer eigenen Residenzen begonnen – mit Ausnahme ihres alten Schlosses in Nantes, dessen mittelalterlicher Charakter erhalten blieb.
Isabelle erwartete ihre Tochter in dem großen Salon neben dem Waffensaal, in dem alle Kriegstrophäen, die Dolche, die Schwerter und die Hellebarden der Familie die Wände zierten. Jean war erst später dazugekommen und hielt es für klug, das Gespräch selbst zu beginnen.
»Wir brechen in wenigen Tagen auf, Constance.«
»Nach Italien!«, rief das junge Mädchen mit freudestrahlenden Augen.
»Nein. Nicht nach Italien, wir fahren nach Amboise.«
»Nach Amboise! Was sollen wir denn da?«
Jetzt war Isabelle mit einer Antwort an der Reihe, deren Wortlaut sie sich genauestens überlegt hatte.
»Die Königin will dich bei sich am Hof haben. Du sollst eine Zeit lang zu ihren Zofen gehören.
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