Die Seidenstickerin
überzeugt war von seinem Glauben und dem Auftrag, den er bei Gott zu erfüllen hatte, angesichts der Gegenwart eines in den Vatikan gewählten Kardinals auch anders verhalten sollen? Denn Hochwürden Jean de Villiers hatte das Kardinalsrot sechzehn Jahre zuvor bekommen, als er mit einem einträglichen Vertrag in der Hand aus Konstantinopel zurückgekommen war – dem Recht auf das Färben mit Alaun aus dem Orient, das er Papst Alexander VI. mitgebracht hatte, dem mächtigen Mann aus der Sippe der Borgia, und der ihn dafür mit einer Kardinalstiara großzügig entlohnt hatte.
Seither kam Jean nur noch selten ins Val de Loire, wo er starken Rückhalt, zuverlässige Beziehungen und vor allem Isabelle und ihre Kinder zurückgelassen hatte, deren Familie auch die seine war.
Jean de Villiers hatte seine eigene Geschichte, die Isabelle in allen Einzelheiten kannte, wenn sie auch vielleicht nichts von den allzu vertraulichen Episoden wusste, die der Prälat in seinem Herzen verschlossen hielt.
Mit zwanzig Jahren hatte sich der junge Mönch von Saint-Grégoire-de-Tours hoffnungslos in Isabelles Mutter Léonore verliebt. Trotzdem hatte er sich nicht dazu entschließen können, sein Priestertum aufzugeben. Sein Gönner, Bischof Bertrand de Tours, hatte ihn vor dieser Versuchung gewarnt, und Jean war es gelungen, seine heftige Neigung für Léonore zu unterdrücken, die ihn von der Kirche entfernt hätte – er trennte seine beiden Leidenschaften säuberlich voneinander. Doch dann kam dieser schreckliche »Verrückte Krieg« und wütete in der Bretagne, und das Schicksal riss die beiden auseinander. Jean wäre beinahe von den Soldaten von Anne Beaujeu gehängt worden, die damals Regentin für ihren minderjährigen Bruder Charles war. Und Léonore hatte die Regentin höchstpersönlich in den Gefängnisturm von Bourges sperren lassen, wo sie mehrere Jahre bleiben musste; sie kam nur kurz bevor dann der Herzog von Orléans dort weggeschlossen wurde wieder frei.
Léonore und Jean sahen sich erst zehn Jahre später wieder, als die Zeiten noch schlimmer waren, weil die große Pest in Frankreich wütete und Tausende von Opfern holte. Sie starb in seinen Armen bei der Geburt des kleinen Jacquou, dem Sohn von Meister Coëtivy.
»Was möchtest du, Olivier? Hast du Constance gesehen?«
»Reden wir nicht von Constance. Sie musste sich etwas austoben. Ich kenn sie doch, heute Abend kommt sie frisch und munter zurück. Erzähl mir lieber etwas vom Vatikan, Jean. Ich möchte so gern wissen, wie es da zugeht.«
Jean lachte vergnügt.
»Zunächst einmal musst du ein ganz normaler Priester werden, mein Junge.«
»Ja, ja, das weiß ich schon«, sagte Olivier ernst. »Aber wenn ich erst weiß, welche Orden es alle gibt, kann ich besser entscheiden, welcher zu mir passt.«
»Da hast du allerdings Recht«, meinte Jean und betrachtete den stillen Olivier.
Jean erinnerte sich, wie er selbst in Oliviers Alter und zwischen der christlichen und der islamischen Religion hin und her gerissen war. Jean wurde nämlich als Sohn eines türkischen Sultans und im Harem des arabischen Prinzen Mohammed II. geboren, dessen Vater an der Eroberung von Konstantinopel beteiligt war.
Ja, der hitzköpfige Jean war der Sohn von Mohammed II. und seiner Konkubine Blanche de Villiers, die im türkischen Harem gefangen gehalten wurde. Zur Flucht verhalf ihr damals Thomassaint Cassex, ein Webermeister aus Brügge, der in erster Ehe mit der Großmutter von Isabelle verheiratet gewesen war. So erklärte sich auch ihr Verwandtschaftsverhältnis.
»Ich hoffe, du weißt, dass ich dich immer unterstützen werde, egal welchen Orden du dir aussuchst«, sagte Jean zu dem Jungen.
Olivier nickte und strahlte vor Glück. Doch dann hörte er ein Geräusch und sah sich um. Mit einem Schlag verschwand der zufriedene Ausdruck aus seinem Gesicht und machte einer krankhaften Angst Platz. Seine Lippen verzogen sich zu einem verkrampften Lächeln, und Isabelle spürte, wie er sich in sich zurückzog.
Aus der Halle neben dem großen Saal hörte man Juliens Schritte.
Der früher recht ansehnliche Julien war von mittlerer Statur und hatte inzwischen sehr an Gewicht zugelegt, was seinem Gesamteindruck nicht unbedingt zuträglich war. Weil er noch immer zur königlichen Kavallerie gehörte, zog er stets mit dem König und seiner Armee mit. Es verstand sich fast von selbst, dass Louis XII. in Bezug auf die Italienkriege die gleichen Absichten wie schon Charles VIII. hegte – Neapel und
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