Die Seidenstickerin
Dann will sie dich mit ein oder zwei Herren ihrer Wahl bekannt machen, weil du einen von ihnen heiraten sollst.«
Constance wusste nicht, wie ihr geschah. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie staunend zwischen ihrer Mutter und Jean hin und her. Hieß das wirklich, dass sie schon bald von der drückenden Last der Familie befreit und ihre eigene Herrin sein würde?
Isabelle war verblüfft, dass ihre Tochter die Neuigkeiten so gut aufnahm, während sie doch mit einer Abfuhr gerechnet hatte, und fuhr fort:
»Ich werde mich jetzt sofort um deine Garderobe kümmern, mein Liebling. Schließlich sollst du in Amboise die Schönste sein.«
Constance erholte sich schnell von dieser überraschenden Ankündigung und hörte zu, überlegte und machte Pläne.
Mit einem Mal sah alles ganz anders aus. Das Schloss von Doué zu verlassen, wo sie ständig mit Julien aneinandergeriet, der sie nicht liebte, und an den Hof in Amboise zu gehen, gefiel ihr weitaus besser als nach Burgund zurückzukehren, was sie wohl sonst aus lauter Verzweiflung verlangt hätte.
»Die Königin ist sehr großzügig. Ich bin sicher, du wirst sie mögen. Sie ist aufrichtig, ehrlich und fromm. Du musst nur morgens und abends deine Andacht verrichten, dann ist alles in Ordnung.«
»Meine Andacht!«, rief Constance erschrocken. »Meine Gebete! Du weißt doch genau, dass ich meinen religiösen Pflichten nie sehr regelmäßig nachgekommen bin, Mutter.«
»Dann musst das eben jetzt tun, Constance«, sagte Jean eindringlich und trat hinter sie.
Eine Sekunde lang schloss Constance die Augen und kostete ihr Glück aus. Sie durfte nach Amboise! War das nur ein Traum? Sie seufzte zufrieden und genoss den sanften Druck der großen, kräftigen Hände des Prälaten auf ihren schmalen Schultern, die ihr ein Gefühl von Geborgenheit gaben, das sie durchaus zu schätzen wusste. Dann drehte sie sich um und warf sich in seine Arme.
»Wirst du mich begleiten, Jean?«
»Aber natürlich. Deine Mutter hat mich darum gebeten.«
Dann schob er sie ein bisschen von sich weg, sah sie nachdenklich an und sagte:
»Ich gebe ein Gebetbuch bei dem besten Illuminierer von ganz Tours für dich in Auftrag.«
»Von ganz Tours!«
»Aber ja. Hast du vergessen, dass ich früher mit den Buchbindern, den Illuminierern und Webern im gesamten Val de Loire zu tun hatte?«
Constance schüttelte den Kopf, als ihr plötzlich ihre neue Freundin Alix einfiel, weshalb sie vergnügt rief:
»Ja, ja! Wir fahren nach Tours und bestellen ein Gebetbuch, und dann sage ich jeden Tag meine Gebete!«
Isabelle seufzte erleichtert. Endlich erlebte sie ihre Tochter einmal vergnügt und guter Dinge. Sie stimmte in ihr Gelächter ein, und auch Jean war sehr froh darüber, die beiden Frauen endlich wieder gut gelaunt und einträchtig zu sehen.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, erklärte Isabelle ihrer Tochter, »die Königin beschäftigt sich schließlich nicht nur mit ihren Andachten.«
»Was werden wir sonst noch machen?«
»Lange Spaziergänge durch den Wald, du wirst an Jagden teilnehmen, Musik machen und singen, Konzerte anhören und zu Festessen und Bällen eingeladen werden.«
»Zu Bällen?«
»Natürlich musst du jeden, den dir die Königin vorstellt, diskret mustern. Du darfst nicht vergessen, dass du von vielen anderen jungen Mädchen umgeben sein wirst, die ihr Auge insgeheim vielleicht auch gerade auf den Mann werfen, den du dir aussuchen wolltest.«
Constance war bereits dabei, Pläne zu schmieden. Sie wollte versuchen, die Königin für sich zu gewinnen; ihre Mutter hatte ihr schon so viel von ihr erzählt, dass sie sie fast zu kennen glaubte. Wenn sie sich dann erst ihre Achtung erworben hätte, wollte sie sie dazu bringen, sich für den Kavalier ihrer Wahl zu entscheiden.
Sie hatte schon beinahe vergessen, dass sie sich eigentlich auf die Suche nach ihrem Vater hatte machen wollen, der ja wohl auch kaum an sie dachte. Außerdem musste sie Jean unbedingt noch sagen, dass er Alix abholen und nach Tours mitnehmen solle, damit sie ihren Jacquou zurückbekam.
6
Bertille hatte Alix sehr herzlich aufgenommen. Ihr Mann Pierrot, der Forstaufseher, machte sich jeden Tag früh am Morgen auf den Weg in seine Wälder und kam erst wieder nach Hause zurück, wenn es dunkel wurde.
Constance hatte den beiden ein paar Taler dagelassen, damit sie es Alix recht schön machen konnten. Sie waren zwar alles andere als reich, aber auf ihrem Tisch gab es immer Brot und Speck, und in dem
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