Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ich bin nicht stolz darauf. Aber ich hätte nicht anders handeln können.« Peter machte eine Pause, und Fygen dachte schon, er hätte das Seinige gesagt, als er erneut anhob zu sprechen, und sie empfand seine Zerknirschung zwischen den Worten. »Es war dumm von mir zu glauben, du würdest die Zusammenhänge nicht erfahren.«
»Du wusstest also die ganze Zeit über, dass es mein Vater war, den …«
»… den mein Vater auf dem Gewissen hat, meinst du? Geahnt hatte ich schon seit Jahren, dass du die Tochter von Konrad van Bellinghoven bist, aber ich hatte es einfach nicht mit Sicherheit wissen wollen.«
Plötzlich stieg ein schrecklicher Verdacht in Fygen auf, der so schmerzlich war, dass er ihr fast die Luft zum Atmen nahm. Mit heiserer, halb erstickter Stimme fragte sie: »Hast du mich deshalb geheiratet? Um die Schuld deines Vaters zu sühnen?« Fygen hatte das Gefühl, als würde sie in eiskalte Tiefen stürzen. Sie war erstaunt, dass ihr der Gedanke nie zuvor in den Sinn gekommen war. Warum sonst hätte ein so wohlhabender und darüber hinaus begehrter Junggeselle, der zwischen vielen Frauen hätte wählen können, ein armes, mittelloses Lehrmädchen vom Land zur Frau nehmen sollen?
Völlig verdutzt schaute Peter seine Frau an. Ihre Lippen bebten, in den Augen schwammen Tränen, und ihr ganzes Gesicht drückte tiefe Verletztheit aus.
»Nein, Gott bewahre!«, entfuhr es ihm. »Auf den Gedanken bin ich nicht im Traum gekommen. Wenn ich an dir etwas hätte gutmachen wollen, so hätte ich dir Geld gegeben«, sagte er ernst und ehrlich. Dann schloss er sie liebevoll in seine Arme und drückte ihren Kopf an seine Brust. »O mein lieber, dummer Mösch! Wie kannst du nur auf so eine Idee kommen.« Sanft fuhr sein Daumen über ihre Wange. Den Mund in ihre Haare vergraben, murmelte er: »Dich habe ich aus reiner Eigensucht geheiratet. Ich liebe dich und will dich für mich haben. Und ich gönne dich keinem anderen.«
Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich weg und blickte ihr mit einem Zwinkern in die Augen. »Schreibt Euch das hinter Eure reizenden kleinen Ohren, Frau Lützenkirchen.«
Teil III
1482 – 1487
1. Kapitel
D as aufgeregte Kichern und Tuscheln der Mädchen drang durch die offene Tür der Werkstatt bis zu ihr herein, und so wusste Fygen, noch bevor Elsa den Kopf in ihr Kontor steckte, dass Bernhard, der Geselle des Röders, angekommen sein musste. Sie sah das Glitzern in den Augen des schlanken, groß gewachsenen Lehrmädchens, als es Fygen seine Ankunft meldete, und sie unterdrückte ein Lächeln, denn der Rotfärber war ein ansehnlicher Kerl, ein ausnehmend hübscher Bursche mit breiten Schultern und einem verheißungsvollen Funkeln in den großen, dunklen Augen. Bei seinem Erscheinen verwandelten sich ihre Mädchen mit schöner Regelmäßigkeit in einen gackernden Hühnerhaufen, und selbst die beiden angestellten Seidmacherinnen, erwachsene Frauen, die längst ihren eigenen Haushalt führten und bei Fygen für Lohn wirkten, reckten ihre Hälse nach ihm.
Fygen legte seufzend ihre Feder beiseite, kam hinter ihrem Schreibpult hervor und trat in die Werkstatt hinaus. Flugs liefen die Mädchen auseinander und huschten zurück an ihre Webstühle. Um ihnen eine Freude zu machen, aber auch weil sie wusste, dass sie ihre Arbeit erst dann wieder konzentriert aufnehmen würden, wenn der Geselle die Werkstatt mit den Ballen blasser, zu färbender Seide wieder verlassen hätte, klatschte sie in die Hände und rief: »Na, was ist los mit euch? Wollt ihr Bernhard nicht beim Ausladen helfen?«
Die vier Lehrmädchen ließen sich das nicht zweimal sagen, und unter großem Gekicher drängten sie trotz der klirrenden Kälte, die ihnen der Februar beschert hatte, in den Hof hinaus. Hier hatte Bernhard seinen Karren zum Stehen gebracht und legte mit einem unwiderstehlichen Lächeln jeder Einzelnen ein paar der in den verschiedensten Rottönen gefärbten und zum Schutz in Leinen geschlagenen Ballen auf die ausgestreckten Arme. Atemluft dampfte in kleinen Wolken zum stahlblauen Himmel hinauf, und viel zu rasch waren alle Stoffe ausgeladen. Die kleine Karawane wanderte nun in den hinteren Teil der Werkstatt, wo in einem großen Regal an der Wand die noch ungefärbten, milchweißen Ballen frisch gewebter Seide darauf warteten, von kundigen Händen ins Farbbad getaucht zu werden. Ein Großteil dieser Ballen wurde zu Bernhard hinaus in den Hof getragen, wo er sie sorgfältig, sich bei jedem Mädchen mit einem Nicken
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