Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
ihrem Kontor in die Werkstatt, als sie die boshaften Worte vernahm: »Du bist ja sogar dumm genug, dir ein Kind andrehen zu lassen!«
    »Und faul dazu. Glaubst du, wir machen alle Arbeit für dich mit?«, ereiferte sich eine andere, recht junge Stimme.
    Fygen trat zwischen die Webstühle, und die Mädchen eilten zurück an ihre Arbeit. Einzig Dora, das schwangere Lehrmädchen von Katryn, stand in Tränen aufgelöst mitten im Raum. Schluchzend hielt sie die Hände auf den gewölbten Bauch gepresst, und große Tränen liefen ihr die vollen Wangen hinab.
    »Ihr Biester«, schalt Fygen voller Zorn. »Was fällt euch ein? Glaubt ihr etwa, Dora macht es Spaß, schwerfällig neben euch herzustapfen? Du, Elsa«, sprach sie das älteste unter den Lehrmädchen direkt an. »Du könntest es besser wissen. Los, lauf hinauf in eure Kammer und bring mir zwei Kissen!« Na, wartet, euch kriege ich dran, dachte sie und gab weitere Befehle: »Du«, wies sie eines der jüngeren Mädchen an, »such mir einen Eimer! Ja, der dort ist gut. Jetzt mach ihn voll Wasser und bring ihn her.« Das Mädchen verschwand, und Fygen scheuchte ein anderes los, ihr ein paar Stricke zu holen. Die Mädchen beeilten sich, und als alle mit dem Gewünschten zurückgekehrt waren, sagte Fygen laut: »So, nun wollen wir mal sehen, wie geschickt ihr seid! Elsa, nimm den Eimer, halte ihn mit beiden Händen vor dich und dann lauf geradeaus, genau auf der Planke entlang.« Mit ausgestrecktem Finger wies Fygen auf eine lange schmale Bodenplanke.
    Elsa blickte ihre Lehrherrin verständnislos an. Doch Fygen schien es ernst zu meinen, also griff Elsa den mit Wasser gefüllten Eimer, umschlang ihn mit beiden Armen und presste ihn an ihren Körper. Sie blickte zu Boden, doch sie konnte nun wegen des Eimers die bewusste Planke vor ihr auf dem Boden nicht mehr sehen. Also versuchte sie auf gut Glück, ihrem Verlauf zu folgen. Bei jedem Schritt, der danebenging, kicherten ihre Genossinnen, und allen war bereits nach wenigen Schritten klar, dass ihre Lehrherrin Elsa eine schier unlösbare Aufgabe gestellt hatte.
    Dora hatte aufgehört zu weinen. Mit weit aufgerissenen Augen bestaunte sie ihre neue Lehrherrin. Diese klatschte nun in die Hände und hieß Elsa aufhören. Stattdessen befahl sie ihr, den beiden jüngeren Mädchen die Kissen mit dem Strick vor den Bauch zu binden. »Und nun versucht einmal, weiter den Webstuhl aufzuscheren«, wies Fygen sie an, mit einem unterdrücktem Lachen in der Stimme. Die Mädchen schauten verdutzt. Zögerlich traten sie an ihren Webstuhl heran, doch ihre Arme reichten nicht einmal über die Bäuche aus Kissen bis an die Holme heran.
    »Nun, nun! Gebt euch ein wenig Mühe!«, trieb Fygen sie an, und die beiden versuchten ernsthaft, unter diesen erschwerten Bedingungen ihre Arbeit fortzusetzen. Doch ihre Bemühungen wirkten höchst unbeholfen und unfähig, das merkten sie selbst.
    Dann endlich erlaubte Fygen sich, laut zu kichern. Auch Elsa und Dora mussten lachen, und nach einem kurzen Zögern stimmten auch die derartig vorgeführten Lehrmädchen in das Gelächter mit ein.
    »Gar nicht so einfach, was?«, fragte Fygen die Mädchen, als sie sich wieder beruhigt hatten. »Ich bin sicher, Dora wäre es auch lieber, sie könnte so flink und unbeschwert arbeiten wie ihr.«
    Dora nickte und blickt zu Boden, während die anderen Mädchen betroffen schwiegen.
    »Von nun an werdet ihr euch sicher Dora gegenüber ein wenig anders verhalten, nicht wahr?« Streng blickte Fygen die Mädchen der Reihe nach an. Jede von ihnen nickte ernsthaft, und so fügte Fygen nur in Gedanken hinzu: Denn man weiß ja nie, welches Schicksal euch noch bevorsteht …
    »Ist Lisbeth hier bei euch?«, unterbrach Lijse die Lehrstunde in Verständnis und Rücksichtnahme. Das jüngste der Lützenkirchenschen Mädchen war ihr entwischt, und Lijse hegte den nicht unbegründeten Verdacht, dass es zu seiner Mutter in die Werkstatt gelaufen war, denn die weichen Garne und die schön glänzenden Stoffe übten eine magische Anziehungskraft auf das Kind aus. Und richtig: Als Fygen sich in der Werkstatt umschaute, entdeckte sie Lisbeth ein wenig abseits vor einem Regal auf dem Boden sitzend, einen Haufen Rohseide um sich herum verstreut. Von allen unbemerkt hatte sie sich an einem Packen Rohseide zu schaffen gemacht, ihn ungestört auseinandergenommen und auf dem Boden verteilt. Glücklich spielte sie mit einigen völlig verhedderten Strängen, strich über das Garn, hielt die Fäden

Weitere Kostenlose Bücher