Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
gegen das Licht und sprach dabei leise entzückt vor sich hin. Lijse schnappte sich ihren Schützling, und bevor Fygen ihre Tochter zurechtweisen konnte, war sie schon mit der Dreijährigen an der Hand zur Werkstatttür hinaus verschwunden.
Fygen musste lächeln. Bei allem Unfug, den Lisbeth anstellte, freute sie sich doch sehr über die Neugier, die ihre Jüngste an den Tag legte, wenn es um die Weberei ging. Sie dachte gerade daran, sich in der Küche einen heißen Becher verdünnten, süßen Weines zu holen, als es zaghaft an die Tür zum Hof klopfte. Fygen öffnete und war höchst erstaunt, eine große Frau zu erblicken, eingehüllt in das dunkle Gewand der Beginen. Ihren schwarzen Umhang hatte sie tief ins Gesicht gezogen, und es dauerte einen Moment, bis sie Hylgen erkannte, das große, schwerfällige Mädchen, das einst mit ihr gemeinsam bei Mettel in die Lehre gegangen war.
»Schön, dich zu sehen«, begrüßte sie Hylgen und zog sie rasch in die Wärme der Werkstatt hinein. Es war seltsam, dass Hylgen sie aufsuchte, denn für gewöhnlich verließ die Begine ihren Konvent nur bei besonderen Anlässen. Fygen hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Freundin ein paar Mal im Jahr im Annenkonvent in der Breiten Straße zu besuchen, immer einen gut gefülltem Korb voller besonderer Leckereien dabei, von denen sie wusste, dass die Frauen im Konvent sie sich bei ihren beschränkten Mitteln nicht leisten konnten.
Aufmerksam betrachtete Fygen die Freundin. Ihr blasses Gesicht mit den Sommersprossen war schmal geworden. Ungewohnt spitz stach es unter der weißen Kapuze hervor, die ihr kupferfarbenes Haar verbarg. Was immer Hylgen ihr auch zu sagen hatte, entschied Fygen, es ließe sich sicher besser bei einer guten Mahlzeit besprechen. Und so saßen sich die beiden jungen Frauen ein wenig später in Fygens Kontor gegenüber, zwischen sich, wo üblicherweise Fygens Geschäftsbücher ihren Platz hatten, Teller und Schüsseln mit Gebratenem, Gesottenem und Gekochtem.
Mit großem Appetit machte Hylgen sich über die Köstlichkeiten her, während Fygen sich fragte, was ihre Freundin wohl auf dem Herzen hatte. Krank schien sie jedenfalls nicht zu sein, bei dem Appetit, den sie an den Tag legte. Fygen spürte, dass die Freundin etwas bedrückte, aber nicht recht wusste, wie sie es zur Sprache bringen sollte. Also entschied sie sich, Hylgen geradeheraus nach ihrem Kummer zu fragen, und als Hilda die leeren Platten abgeräumt und ihre Becher erneut mit gutem Wein gefüllt hatte, bat Fygen sie, die Tür sorgfältig hinter sich zu schließen. Es war Zeit, den wahren Grund von Hylgens Besuch in Erfahrung zu bringen.
»So, nun verrat mir, was dich bedrückt«, sagte sie zu Hylgen.
Diese, erleichtert, endlich zur Sache kommen zu können, ließ sich nicht lange drängen. Mit mutloser Stimme berichtete sie: »Wir stecken in Schwierigkeiten. Der Konvent hat nicht viel Geld. Wir haben keine reichen Stifter oder Gönner, die uns unterstützen, deshalb müssen wir uns unseren Lebensunterhalt verdienen. Wir können spinnen, weben und sticken. Und das nicht schlechter als andere. Aber keine zünftige Handwerkerin gibt uns Arbeit.« Betrübt ließ Hylgen die breiten Schultern hängen. »Im Gegenteil, sie machen uns das Leben erst recht schwer, indem sie unsere Verdienstmöglichkeiten immer weiter beschneiden.«
Nach dieser Eröffnung schwante Fygen Übles. Sie ahnte, was nun kommen würde, und war gar nicht glücklich darüber. Mitgliedern der Seidmacherzunft war es bei Androhung des Ausschlusses aus der Zunft verboten, Seide an Konvente oder Bewohner geistlicher Einrichtungen zur Verarbeitung oder Aufbereitung zu geben.
Und wie Fygen erwartet hatte, sprach Hylgen ihre Bitte aus: »Kannst du uns nicht weiterhelfen? Wir wissen wirklich nicht mehr, was wir tun sollen. Bitte gib uns Seide zum Spinnen oder Weben. Ich verspreche dir, es wird keiner erfahren. Du weißt, wie sorgfältig ich arbeite. Und meine Schwestern sind nicht weniger geschickt.«
Wusste Hylgen überhaupt, was sie von ihr verlangte?, fragte Fygen sich. Wenn sie dieser Bitte nachkäme, und die Zunft würde dessen gewahr, würde Fygen mit Sicherheit ihre gesamte Existenz verlieren, alles, was sie im Laufe der Jahre so mühsam aufgebaut hatte. Fygen hatte schon bemerkt, dass Hylgens Umhang abgetragen und ein wenig fadenscheinig war, ihre Schuhe abgewetzt und der Rand ihrer weißen Haube zerschlissen. Ihr Äußeres verriet deutlich, dass es mit den Finanzen des Konvents
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