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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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nicht gerechnet hatte. Doch sie merkte, dass aller Augen auf sie gerichtet waren und man auf ihre Antwort wartete. »Tilman Wedich«, antwortete sie ein wenig lahm.
    Fygen und Katryn wechselten einen schnellen Blick. Tilman Wedich stand nicht in allerbestem Ruf, und er gehörte nicht zum Seidamt. Aber wer in Köln mit Seide handelte, Seidamtsmitglied oder nicht, hatte darauf zu achten, dass die Seide qualitativ den Ansprüchen als Kaufmannsgut gerecht wurde. Verstieß er gegen diese Anordnung, musste er für jedes Pfund der minderwertigen Seide eine Strafe von vier Mark an das Seidamt entrichten.
    Für Johann Byrken war der Sachverhalt nun klar. »Unser höchstes Ziel sollte die Sicherung der Qualität sein. Das ist schließlich das, was den Ruf unserer kölnischen Seide ausmacht. Es kann nicht angehen, dass dieser Ruf von Einzelnen ruiniert wird, sei es aus Nachlässigkeit« – hier warf er Irma Bruwiler einen strengen Blick zu –, »sei es aus Profitgier. Ich denke, es ist nur gerecht, wenn du Barbara Loubach den dreifachen Lohn für ihre Arbeit zahlst, als Strafe dafür, dass du sie eines Vergehens bezichtigt hast, das sie nicht begangen hat, und ihren Ruf geschädigt hast.« Hier unterbrach er sich, um sich zu vergewissern, dass die anderen seiner Meinung waren. Fygen und Katryn nickten zustimmend. Trude van Arnold, die noch bei der letzten Sitzung Barbara Loubach am liebsten sofort, ohne den Sachverhalt geprüft zu haben, verurteilt hätte, hatte ihren Fehler erkannt, hielt sich vorsichtig zurück und nickte ebenfalls ihr Einverständnis.
    »Tilman Wedich hat natürlich die vier Mark Buße pro Pfund zu entrichten. Außerdem werde ich ihn persönlich ermahnen, künftig auf die Qualität zu achten, wenn er weiterhin mit kölnischen Seidmachern Geschäfte zu machen wünscht«, schloss Byrken, und die Angelegenheit war entschieden.
    Der nächste Fall, derjenige, in dem sich Trude van Arnolds Schwester, Frau van der Sar, nicht daran zu erinnern vermochte, wann ein bestimmtes Lehrmädchen ihre Lehrzeit bei ihr begonnen hatte, war rasch geklärt. Das Lehrmädchen und, wie Fygen es erbeten hatte, ein weiteres Lehrmädchen von Frau van der Sar knicksten höflich, als sie in das Kontor geführt wurden. Beide versicherten glaubhaft und übereinstimmend, dass das Mädchen bereits kurz nach den Ostertagen im vorvergangenen Jahr zu Frau van der Sar gekommen war, und nicht erst im darauffolgenden Herbst. Überraschend kehrte nun auch das Erinnerungsvermögen der Lehrherrin zurück. Schnell war die Einschreibegebühr entrichtet, Fygen nahm die entsprechende Eintragung ins Lehrtöchterbuch vor, und der Vorstand widmete sich der nächsten Angelegenheit: Grit Dusseldorp war eine der weniger begüterten Seidweberinnen, die es sich nicht leisten konnte, eine eigene Weberei zu betreiben. Ihr Mann war dem Alkohol verfallen, und sie mühte sich redlich, den Lebensunterhalt für ihre Familie zu verdienen. Daher wirkte sie für Lohn bei ihren begüterteren Genossinnen. Gleichwohl war sie Zunftmitglied, und als solches suchte sie ihr Recht bei den Damen und Herren vom Seidamt. Eine ihrer Auftraggeberinnen versuchte nämlich, Grits missliche Lage auszunutzen, und verweigerte ihr den für Weberinnen üblichen Lohn, der zwischen acht und zwölf Albus betrug.
    Über dieser und noch einigen anderen – jedoch weit weniger spannenden – Angelegenheiten der Zunft verging der Nachmittag, bis die früh einbrechende Dunkelheit die Damen und Herren vom Seidamt für diesen Tag von ihren Pflichten entband.

4. Kapitel
    M utter, Mutter, das musst du dir anschauen!« Herman riss die Tür zur Werkstatt so ungestüm auf, dass sie mit einem Krachen gegen die Wand flog. »Ein Tier mit zwei Schwänzen! Und mit dem einen frisst es!«
    Lächelnd schaute Fygen von ihrer Arbeit auf. »Was erzählst du denn für Geschichten? Willst du uns verulken?«
    »Nein, Mutter, ehrlich! Ich habe es gesehen. Es ist riesengroß und hat zwei lange Zähne, aber es frisst nur Gras und Blätter.«
    »Und wo ist dein Wundertier?«
    »Auf dem Heumarkt. Da sind ein paar Schausteller. Und das Tier haben sie an einen Pflock gebunden.«
    »Und du willst uns sicher nicht verulken? Gut, dann gehen wir heute Abend mit den Mädchen dorthin, wenn es nicht mehr so heiß ist.«
    Der Mai hatte ihnen die ersten heißen Tage beschert, und so recht hatte sich noch keiner an die sommerlichen Temperaturen gewöhnt. Nachsichtig überging Fygen die Tatsache, dass Herman offensichtlich nach der

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