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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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zweifelsohne vonnöten waren, um acht Schuppen voller Raupen zu versorgen. Fygen stieg erneut vom Wagen und stieß die Tür zu einem der Aufzuchtsschuppen auf. Ein modriger, fauliger Gestank schlug ihr entgegen. Fygen hielt sich einen Zipfel ihres Rockes vor die Nase und betrat den Schuppen. Ordentlich waren die Hürden auf die Gestelle gesetzt. Es waren die fauligen Blattreste, die vor sich hin gammelnd in der Gaze hingen und den widerlichen Gestank verströmten, erkannte Fygen, als sie näher trat. Doch es schienen keine Maulbeerblätter zu sein. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Im Dämmerlicht des Schuppens hatte sie es nicht sofort gesehen, doch nun erkannte Fygen bestürzt, dass der Boden unter den Hürden braun war, dicht bedeckt von Tausenden zusammengekrümmter Leiber. Die Seidenraupen waren tot. Im nächsten Schuppen erwartete Fygen das gleiche traurige Bild. Im übernächsten ebenso. Was war hier geschehen?
    Zielstrebig ging Fygen in die Hütte, die Herman den Sommer über als Wohnhaus gedient hatte, doch sie fand diese verwaist vor. Im Ofen brannte kein Feuer, und nirgendwo war auch nur ein einziges Stück von Hermans Sachen zu entdecken, keine Juppe und auch kein Hemd.
    Fygen versuchte, sich darauf einen Reim zu machen, als sie von draußen ein Räuspern vernahm. Hoffnungsvoll trat sie durch die niedrige Tür ins Freie, doch dort stand zu ihrer Enttäuschung nicht ihr Sohn, sondern ein älterer Mann in der einfachen Kleidung der Landarbeiter.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie barscher als beabsichtigt.
    Dem einfachen Mann war die Situation sichtlich unangenehm. Verlegen knetete er seine Mütze in den groben Händen und versuchte sich unbeholfen an einer Erklärung: »Es wurden immer mehr. Und die Blätter immer weniger. Wir haben ihnen dann die Blätter der Schwarzwurzelpflanze gegeben. Erst mochten sie die auch, aber dann …« Der Landarbeiter verstummte. Entschuldigend zuckte er mit den Schultern und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
    Fygen wagte kaum, ihn nach Hermans Verbleib zu fragen, doch schließlich fasste sie sich Herz. »Und mein Sohn?«
    Wieder zuckte der Mann mit den Schultern. »Fort«, murmelte er. »Hat alles stehen- und liegenlassen und ist fortgeritten.«

8. Kapitel
    H erman ist ein erwachsener Mann. Er ist in der Lage, selber für sich zu sorgen. Der Junge hat eine Niederlage einstecken müssen, aber wenn er die Sache verdaut hat, wird er schon wieder nach Hause kommen.« Peters Worte waren aufmunternd gemeint, doch Fygen quittierte sie mit einem zweifelnden Blick. In den letzten Tagen hatte Hermans Verschwinden schwer auf ihr gelastet und ihre Stimmung getrübt. Auch der Besuch im Goldenen Krützchen, zu dem ihr Mann sie überredet hatte, um sie auf andere Gedanken zu bringen, hatte sie nicht von ihrer Sorge abzulenken vermocht. Auf dem Heimweg vom Alten Markt hatten sie gerade die Budengasse durchquert, als ihnen in der Gasse Unter den Minoritenbrüdern der kühle Westwind einen verbrannten Geruch entgegentrug. Immer beißender wurde der Gestank, und als sie auf Höhe des Minoritenklosters angelangt waren, lag bereits grauer Rauch in der Gasse.
    »Das kommt aus der Breiten Straße«, rief Fygen und beschleunigte ihren Schritt. Schlagartig befiel sie eine schreckliche Ahnung. Viele der großen Wohnhäuser in der Breiten Straße und der davon abzweigenden Straße Auf der Ruhr waren Beginenkonvente. Hatte Barbara Loubach recht behalten mit ihrer düsteren Prophezeiung? Brannte hier ein Beginenkonvent? Fygen raffte ihre Röcke, um schneller laufen zu können. Peter musste sich bemühen, mit ihr Schritt zu halten.
    Über einem großen Gebäude stieg dichter Rauch auf. Eine Gruppe Menschen hatte sich davor versammelt, darunter viele dunkel gekleidete Frauen, die schwarzen Umhänge fest um sich gezogen. Entsetzt und sprachlos starrten sie zu den Flammen hinauf, die, zusätzlich angefacht durch den frischen Wind, munter den Dachstuhl umzüngelten. Viele bewegten lautlos die Lippen, schickten stumme Gebete an den Herrn.
    »O Herrgott, nein, lass das nicht zu«, bat auch Fygen. Es war der Konvent zur heiligen Anna, der in Flammen stand.
    Für einen Moment war sie wie gelähmt, und es war Peters Stimme, die sie in die Wirklichkeit zurückholte: »Sind alle Frauen in Sicherheit?«
    »Wie? Was? Ich weiß nicht. Das ist die Vorsteherin des Konventes«, sagte Fygen und wies auf eine groß gewachsene Frau in mittleren Jahren, nur wenige Schritte von ihnen entfernt. Sie wurde umringt

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