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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Hoftür hinaus in Richtung Werkstatt.
    Auch Fygen hatte sich erhoben, und da sie nicht wusste, was von ihr erwartet wurde, blieb sie neben dem Tisch stehen. Die große, schwerfällige Lehrherrin bedachte Fygen mit einem missbilligenden Blick aus zusammengekniffenen kleinen blassen Augen, die von dicken Fettwülsten gerahmt wurden. Sie war deutlich jünger, als Fygen erwartet hatte, weil sie immer »die Alte Mettel« genannt wurde. Bestimmt mochte sie noch keine fünfzig Jahre zählen. Bedrohlich baute sie sich neben dem Mädchen auf. »Du kannst dich auch nützlich machen«, befahl sie. »Hol Wasser, räum den Tisch ab, wasch das Geschirr. Dann fegst du die Küche. Die Abfälle sind für die Schweine im Hof.« Nach einem kritischen Blick auf den Fußboden fügte sie hinzu: »Die Küchendielen kannst du auch scheuern. Und ich rate dir: Trödele nicht herum, sonst mache ich dir Beine!«
    Sie war schon zur Tür hinaus, als sie noch einmal den Kopf hereinsteckte und hinzufügte: »Glaube nicht, dass du eine Sonderbehandlung erhältst, nur weil du die Nichte meines Vetters bist.«
    Fygen zog eine Grimasse in Richtung der geschlossenen Tür und stellte die leeren hölzernen Daubenschalen zusammen, aus denen sie die Suppe gelöffelt hatten. Dann griff sie nach dem Eimer, der neben dem Herd stand, um Wasser zu holen, und trat in den Hof hinaus. Die Sonne stieg gerade rechter Hand über die Dächer, und die Morgenluft war noch frisch und kühl. Aus der Werkstatt in ihrem Hof und auch aus den angrenzenden Höfen erklang ein eintöniges, gedämpftes Klappern. Neugierig überquerte Fygen den Hof und betrat leise das Werkstattgebäude. Das Klappern war hier drinnen weit lauter. An zwei großen hölzernen Flachwebstühlen saßen Grete und Katryn und webten. Bewundernd und ein wenig neidisch beobachtete Fygen die Mädchen von der Tür aus. Mit gleichmäßigen, fast eleganten Bewegungen warf Katryn ein Stück Holz durch die Fächer der Kettfäden und fing es geschickt mit der anderen Hand auf. Sie trat ein Pedal unter dem Webstuhl, woraufhin sich einige Schnüre bewegten, die oberhalb des Webstuhles an einem Holm befestigt waren. Dann warf sie das Holz zurück. Das Mädchen arbeitete still und konzentriert, und das Werk ging ihr so rasch von der Hand, dass es Fygen vom Zuschauen beinahe schwindelte.
    Sewis und Hylgen hantierten mit langen Fäden, die sie mit flinken Bewegungen um Halterungen herumwanden. Alles sah so selbstverständlich aus. Jede schien ihre Handgriffe zu beherrschen und genau zu wissen, was sie zu tun hatte, staunte Fygen. Sie hätte gerne mit den Mädchen gearbeitet oder ihnen zumindest länger zugeschaut. Nur schwer konnte sie sich losreißen und sich den ihr aufgetragenen Aufgaben zuwenden. Seufzend machte sie sich auf die Suche, und schließlich fand sie den Pütz, einen überdachten Brunnen hinter den Werkstattgebäuden, den sich die Bewohner mehrerer Häuser der Gasse teilten. Zu ihrem Entsetzten musste sie feststellen, dass er sich direkt neben den stinkenden Latrinen befand. Da war es nicht verwunderlich, wenn sich das Brunnenwasser nicht zum Trinken eignete.

    Als Fygen ihre Arbeit endlich erledigt und den Küchenboden fertiggewischt hatte, war es bereits Mittag geworden. Die Scheuerseife im Wischwasser hatte die aufgerissene Haut an ihrem Handgelenk aufgeweicht, und die Wunde brannte schrecklich. Es war ein heißer Tag geworden, und das Feuer im Herd heizte den Raum zusätzlich auf. Fygen strich sich erschöpft eine schweißfeuchte Locke aus dem Gesicht und ließ sich auf der Bank nieder, als Grete und die anderen Mädchen zum Essen vom Hof hereinkamen. Das spärliche Mahl verging fast schweigend, denn alle waren müde von der Hitze.
    Doch kaum hatte Fygen ihre dünne Kohlsuppe ausgelöffelt und die Schale mit etwas Brot ausgewischt, als Mettel sie auch schon wieder an die Arbeit trieb. Sewis und Fygen wies sie an, einige Seidenballen zu den Stelrevern zu bringen. Sewis stöhnte hörbar auf, doch sie erhob sich gehorsam und ging, von Fygen gefolgt, in die Werkstatt. Ordentlich aufgestapelt lagen dort auf einer Bank sechs schmale, blässlich weiß schimmernde Ballen fein gewebten Seidenstoffes. Sewis nahm die oberen drei Ballen auf, und mit einer Bewegung ihres spitzen Kinnes bedeutete sie Fygen, die anderen drei zu nehmen und ihr zu folgen. Ihre kostbare Last auf ausgestreckten Armen vorsichtig vor her sich her tragend, überquerten sie den Hof. Flirrende Hitze fiel über sie her, als sie auf die Gasse

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