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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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überlegte sie krampfhaft, wie sie das Geld verloren haben konnte, doch sie konnte es sich beim besten Willen nicht erklären.
    »Ich weiß, wer das Geld genommen hat.« Diese ruhig gesprochenen Worte platzten in die aufgeheizte Stimmung in der Stube. Alle Köpfe wandten sich Katryn zu, denn es war das ernste Mädchen, das die anklagenden Worte gesprochen hatte.
    Mettel klappte den Mund auf und schloss ihn wieder, ohne ein Wort gesagt zu haben. Fragend blickte sie Katryn an.
    »Ich habe gesehen, wie Grete das Geld genommen hat«, erklärte das Mädchen schlicht.
    Wieder klappte Mettels Mund auf. Schwerfällig drehte sie sich zu ihrer Tochter um. Deren breites Gesicht war hochrot angelaufen. Nach einer Weile, in der sie aller Augen unangenehm auf sich ruhen fühlte, erklärte Grete lahm: »Natürlich habe ich das Geld zur Sicherheit an mich genommen, damit es nicht wegkommt.«
    Nach einigen weiteren Momenten des Schweigens hatte Mettel sich endlich wieder gefangen. Herrisch blickte sie die Mädchen nacheinander an. Dann beschied sie Fygen grob: »Du hörst es. Grete wollte es sicher verwahren, damit es nicht wegkommt. Wie kannst du behaupten, dass sie es gestohlen hätte?«

7. Kapitel
    I n den frühen Morgenstunden hatte es angefangen zu regnen, aber nach dem heißen Wetter der letzten Wochen brachte der Regen keine Abkühlung. In den Gassen stand der Schlamm, in dem alles zu versinken drohte, knietief. Die Abwasserrinnen wurden der schmutzigen Brühe nicht mehr Herr, weil sie von Unrat verstopft waren. Feucht stiegen die Dunstschwaden vom schlammigen Hofboden auf, als die Mädchen nach dem Frühstück in die Werkstatt zurückwateten, um sich an die Arbeit zu machen.
    »Du solltest dich beeilen und aufpassen, dass du nicht nass wirst«, riet Grete Hylgen mit lauter, gespielt fürsorglicher Stimme, um dann, als das sommersprossige Mädchen sie erstaunt anblickte, hinzuzufügen: »Sonst läuft dir der Rost ins Hirn.« Glucksend lachte sie über ihren eigenen Witz und sang unmelodisch: »Fuss, Fuss, kum ’erus!«
    Fygen konnte unschwer erkennen, dass Hylgen diese Gemeinheiten verletzten, und flüsterte ihr leise zu: »Warum lässt du dir diese Hänseleien von ihr gefallen?«
    »Ach, was soll ich machen? Der Herrgott weiß, dass sie es nicht böse meint«, antwortete diese fromm.
    »Aber wenn du dich nicht wehrst, wird sie nie damit aufhören«, sagte Fygen, doch Hylgen zuckte nur ergeben mit den runden Schultern.
    Mit sanftem, gleichmäßigem Rauschen prasselte der Regen auf das Dach der Werkstatt, und fast wäre es in dem kargen Raum gemütlich gewesen, wenn die dumpfe Feuchtigkeit nicht durch die groben Wände zu ihnen hereingekrochen käme. Fygen war viel zu aufgeregt, um sich weiter Gedanken über Hylgen zu machen. Heute würde sie wirklich anfangen, das Seidenhandwerk zu erlernen. Denn in den vergangenen Tagen war sie, während die anderen Mädchen ihrer Tätigkeit an den Webstühlen nachgingen, von Mettel zu allerlei häuslichen Arbeiten herangezogen worden: die Betten aufschütteln, die Stube fegen, Wasser holen, Putzen, Wischen und den Unrat fortbringen. Das war keineswegs eine besondere Bosheit ihrer Lehrherrin, musste Fygen zugeben, doch es entsprang natürlich Mettels Geiz, dass im Elnerschen Haushalt auf die Anstellung einer Magd verzichtet und dafür das jüngste Lehrmädchen zu diesen Arbeiten verurteilt wurde. Und Fygen hasste die Hausarbeit gründlich.
    »Ein Gewebe besteht aus Kette und Schuss«, erklärte Katryn und deutete auf den Webstuhl, an dem Grete gerade arbeitete. »Siehst du hier, diese Längsfäden, das ist die Kette. Zuerst werden diese Fäden aufgespannt. Aufscheren nennt man das. Hierfür nimmt man fest gezwirntes, glattes Garn. Es muss sehr reißfest sein und darf später beim Weben nicht aufrauhen. Wir verwenden natürlich nur bestes Seidengarn für die Kette, aber wenn du einen halbseidenen Stoff herstellen willst, nimmst du stattdessen Leinen. Je dünner das Kettgarn ist und je mehr Fäden man aufspannt, desto feiner wird das Gewebe.« Mit einem raschen Blick vergewisserte Katryn sich, dass Fygen ihren Erklärungen folgte, um dann fortzufahren: »Die Kettfäden werden alle in der gleichen Länge vorbereitet und dann zwischen Warenbaum und Kettbaum aufgespannt.« Sie deutete auf zwei stabile Holzstäbe, die vorn und hinten in den Webstuhl eingehängt waren. »Auf den hinteren Stab, den Kettbaum, wickeln wir die leeren Fäden auf, während der Warenbaum vorn später das fertige Gewebe

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