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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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balancierte die schmale Planke hinab, ihrer neuen Zukunft entgegen.
    Ganz selbstverständlich wurde Fygen von der Menge aufgesogen und vorwärtsgetrieben. Durch eine der schmalen Pforten, die sich am Ende nahezu jeder Gasse, die zum Fluss führte, in der Rheinmauer auftaten, ging es in die Stadt hinein, und sie fand sich in einer breiteren Gasse wieder. In der Mitte des gestampften Lehmbodens führte eine widerlich stinkende Abfallrinne entlang, tief genug, um hineinzutreten und sich den Knöchel zu brechen. Wenige Schritte weiter wühlten zwei magere, gefleckte Hunde auf der Suche nach etwas Fressbarem in den Abfällen, was den Gestank noch verschlimmerte. Fygen hielt sich einen Zipfel ihres Rockes vor die Nase, um dem ekligen Geruch zu entkommen. Kurz nur wandte sie ihren Kopf zurück in Richtung der Pforte, durch die sie die Gasse betreten hatte, schon wurde sie unsanft beiseitegestoßen. Fast wäre sie in die Abfallrinne gestolpert, stellte sie erschreckt fest und bemühte sich, achtsamer zu sein. Eine Kappesverkäuferin drängte sich schimpfend an ihr vorbei, an jedem Arm einen sperrigen Korb mit wenigen verbliebenen Kohlköpfen tragend. Zudem balancierte sie ein fast leeres, geflochtenes Tablett mit Mohrrüben auf dem Kopf, stellte Fygen staunend fest.
    Die breite Gasse mündete in eine Straße ein, die leicht bergan führte, und Fygen fragte sich, ob sie auf dem richtigen Weg wäre. Mit lautem Peitschenknallen näherte sich in rasanter Fahrt von hinten ein unbeladenes Pferdefuhrwerk und stob, ohne Rücksicht zu nehmen, genau auf sie zu. In letzter Sekunde schaffte Fygen es, sich in einen Hauseingang zu retten, und presste sich flach an die Tür, um nicht zerdrückt zu werden. Haarscharf raste das Fuhrwerk an ihr vorbei. Doch weit kam es nicht, denn von vorn kam gemächlich ein hoch mit Getreidesäcken beladenes Ochsengespann angerumpelt und versperrte die Gasse, die beileibe nicht breit genug war, um beide Gefährte aneinander vorbeizulassen. Lautstark brüllten die Fuhrleute sich an, schlugen wie wild mit ihren Peitschen und rauften sich die Haare, doch Fygen hatte das Gefühl, dass sie die Angelegenheit eher gut gelaunt denn ernsthaft betrieben. Passanten blieben stehen und quittierten jede Äußerung der Fuhrleute mit begeistertem Johlen und anfeuernden Rufen. Im Nu war eine kleine Menschenmenge zusammengelaufen, und Fygen kam neben einer dicklichen Matrone zu stehen. Die Frau sah freundlich aus, und Fygen wagte es, sie zu fragen: »Bitte schön, wo wohnt die Mettel Elner?«
    »Wer?« Die Frau wandte Fygen fragend ihr rundliches Gesicht zu und musterte sie von oben bis unten.
    »Mettel Elner.«
    »O weh, Kind, weißt du überhaupt, wie viele Menschen hier wohnen?«, rief sie aus und schüttelte den Kopf über so viel Naivität. »Deine Mettel kenne ich nicht. Aber wenn du die Gasse weiter entlanggehst, dann läufst du geradewegs auf den Heumarkt zu. Da halte Ausschau nach einem der Marktaufseher. Vielleicht können die dir weiterhelfen.«
    Fygen blickte sie verständnislos an, und so erklärte die Frau ihr in einem Tonfall, als rede sie mit einer Schwachsinnigen: »Sie sorgen für Ordnung auf dem Markt. Du erkennst sie an ihren langen rot-weißen Stäben.«
    Fygen dankte der Frau, schlüpfte durch eine Lücke zwischen den beiden Fuhrwerken hindurch und setzte ihren Weg fort, der sie in der Tat nach wenigen Minuten auf einen großen Platz führte. Doch das Markttreiben schien beendet zu sein. Die Händler packten ihre unverkauften Waren in Kisten und Körbe oder standen in kleinen Gruppen schwatzend beieinander.
    Suchend blickte Fygen sich um. Auf diesem Teil des Marktes hatten die Eisenwarenhändler ihre Stände, ein Stück weiter folgten die Salzhändler und rechter Hand die Flachshändler, stellte sie fest, doch nirgendwo konnte sie einen Mann mit rot-weißem Stab sehen.
    »Hallo, Kleine, suchst du etwas? Vielleicht mich?«, vernahm Fygen eine schmierige Stimme hinter sich und wandte sich erschreckt um. Ein Kohlenhändler mit rußigen Flecken auf Gesicht und Händen machte eine anzügliche Geste in ihre Richtung. Fygen fasste ihr Bündel enger und eilte vor seinem vulgären Lachen davon, geradewegs, wie sie feststellte, auf die Waage zu. Hier standen zwei bessergekleidete Herren im Gespräch, und Fygen versuchte, sich bemerkbar zu machen. Nach einer Weile heftete der Ältere einen strengen Blick auf sie, und Fygen knickste ehrerbietig. »Entschuldigung, vielleicht könnt Ihr mir sagen, wo die Mettel Elner

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