Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
zwischen den Webstühlen bereiten müssen. Jedes der Mädchen hatte in einer Ecke des Raumes zwei Haken an der rauhen Holzwand und darüber ein schmales Regalbrett, auf dem es seine Habseligkeiten verstauen konnte. Nur Grete hatte als Tochter des Hauses selbstverständlich ihre Kammer im Haus, worum Fygen nicht traurig war. Grete war das grobschlächtige Mädchen, das Fygen bei ihrer Ankunft so herzlich empfangen hatte, ihre entfernte Kusine.
    Schnell waren die Strohbündel beiseitegeräumt, und Reste der Dunkelheit klebten noch in den Ecken, als die Mädchen die wenigen Schritte über den Hof gingen, auf dem ein paar vertrocknete Grasbüschel ein trauriges Dasein fristeten. In der Küche im hinteren Teil des Wohnhauses scharten sie sich noch schläfrig um den Küchentisch und aßen ihre warme Morgensuppe, eine trübe Brühe aus Wasser, Milch, Mehl und geriebenem Schwarzbrot. Dazu gab es Keutebier, ein dünnes Gebräu aus Weizen, Hafer und Gerstenmalz, das mit einem Hopfenzusatz gewürzt wurde. Fygen versuchte vorsichtig einen Schluck und fand es entsetzlich. Angewidert verzog sie das Gesicht.
    Grete nutzte sofort die Gelegenheit für einen derben Scherz: »Ach, für meine arme Base vom Land ist das Bier nicht gut genug. Du willst wohl lieber einen Sooren Hungk?«
    Fygen, die den Namen für den Wein von minderer Qualität, der innerhalb des Stadtgebietes angebaut wurde, nicht kannte, antwortete höflich: »Etwas Wasser wäre nett, danke schön.«
    Während die anderen Lehrmädchen verstohlen kicherten, stand Grete auf, schöpfte eigenhändig einen Becher Wasser aus einem Eimer und stellte ihn vor Fygen auf den Tisch. »Wohl bekomm es«, sagte sie mit maliziösem Lächeln und nahm wieder ihren Platz auf der Küchenbank ein.
    Fygen dankte ihr und streckte gerade die Hand nach dem Becher aus, als das Mädchen neben ihr seine leere Schüssel beiseiteschob und dabei mit einer fahrigen Bewegung das Wasser über den Tisch kippte. Fygen erinnerte sich an ihren Namen: Katryn Starkenberg hieß sie und stammte aus einer angesehenen alten Kölner Kaufmannsfamilie, aus der schon der eine oder andere im Rat der Stadt gesessen hat.
    Die beiden anderen Lehrmädchen prusteten vor Lachen, und Grete schlug sich vor Vergnügen auf die massigen Schenkel. Fygen wischte sich den nassen Ärmel, und als Katryn ihr mit einem Lappen half, den Rock, auf dem das meiste Wasser gelandet war, trockenzureiben, raunte sie Fygen heimlich zu: »Trink nicht von dem Wasser.«
    Fygen zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch sie ließ sich weiter nichts anmerken. Schweigend löffelte Fygen ihre Suppe und beobachtete verstohlen das Mädchen, das Grete auf so elegante Weise den Spaß verdorben hatte. Es war recht groß und schlank, hatte ein schmales, ernstes Gesicht, eine gerade Nase, dunkelblonde Haare und hübsche nussbraune Augen. Als wäre nichts geschehen, schwatzte und lachte Katryn zusammen mit den anderen Lehrmädchen, und Fygen nutzte die Gelegenheit, ihre neuen Gefährtinnen ausgiebig in Augenschein zu nehmen.
    Neben Katryn mit den Nussaugen saß Grete, ihre unansehnliche Kusine, der die dünnen aschblonden Haarsträhnen immer wieder in den Löffel hingen. Vor ihr würde sie sich in Acht nehmen müssen. Auf der anderen Seite des Tisches, Fygen gegenüber, hatten zwei weitere Mädchen ihren Platz gefunden: Sewis und Hylgen. Sewis war ein zierliches, kleines energiegeladenes Mädchen mit Herzgesicht, rotbraunen Haaren und von hübscher Gestalt. Fasziniert folgte Fygen den flinken Bewegungen der schmalen Hände, mit denen sie jedes ihrer Worte unterstrich. Was Sewis zu viel an Lebhaftigkeit besaß, das fehlte dafür der etwas schwerfälligen Hylgen, die zu allem, was Sewis sagte, nur bestätigend mit dem großen Kopf nickte und bestenfalls ein frommes »So der Heiland will« anfügte. Doch was schlimmer war: die gutmütige Hylgen war ein »Fuss«, eine Rothaarige, stellte Fygen voller Mitleid fest, was beileibe kein leichtes Schicksal war, gab es doch mit Sicherheit immer wieder Anlass zu bösen Späßen und Hänseleien. Zudem war ihre helle Haut über und über mit Sommersprossen bedeckt. Fygen hatte Durst, und obwohl ihr der Alkohol bereits leicht zu Kopf stieg, nahm sie widerwillig einen großen Schluck von dem Keutebier.
    Sie hatte gerade ihre Schale geleert, als Mettel, ihre Lehrherrin, die Küche betrat. Die Seidmacherin schien ein strenges Regiment zu führen, denn augenblicklich riss das Geschnatter ab, die Mädchen sprangen auf und stoben zur

Weitere Kostenlose Bücher