Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Rohseide einkaufte. Große Packen der blassen ungezwirnten Fäden, der sogenannten Haspelseide, wurden präzise abgewogen und das Gewicht genauestens im Akziseregister notiert.
Ungeduldig stieß Sewis Fygen mit dem Ellenbogen an, doch diese blieb einfach stehen und beobachtete unbeirrt, wie die wohlhabende Seidweberin die von ihr verlangte Akzise aus einer reich bestickten Börse zahlte, die von ihrem Gürtel hing. Fygen stellte mit Erstaunen fest, dass die vornehme Frau kleine Holzbrettchen mit Riemen an ihren Schuhen befestigt hatte, um diese vor dem Schmutz der Gasse zu schützen. Ihre beiden Lehrmädchen wuchteten sich ächzend die Packen Rohseide auf die Schultern und folgten ihrer Lehrherrin die Gasse hinab, als diese sich würdevoll zum Gehen wandte. Interessiert blickte Fygen ihnen nach, bis sie im Eingang zu einem der schönen, eindrucksvollen Häuser am Anfang der Gasse verschwanden.
»Kommst du jetzt mit, oder hast du sonst noch etwas anzugaffen?«, fragte Sewis schnaubend. »Du bist anscheinend wirklich eine ziemliche Trine vom Land.«
Als sie in das Elnersche Haus zurückkehrten, verstand Fygen, warum Sewis so auf Eile gedrängt hatte. Kaum hatten sie die Stube betreten, als Mettel ihnen beiden eine schallende Ohrfeige versetzte. »Ihr faulen Gören habt herumgetrödelt«, keifte sie. Dann beugte sie ihr hängendes, von der Hitze gerötetes Gesicht zu Fygen herab und starrte ihr böse in die Augen. »Mit dir fängt es ja schon gut an. Bist kaum einen Tag im Haus und fängst schon an herumzustrolchen. Ich habe vor der Zunft dafür Sorge zu tragen, dass meine Lehrmädchen sich nicht herumtreiben.« Sie stapfte aufgebracht mit ihren hölzernen Pantinen in der Stube umher. Dann fügte sie hinzu: »Und ich werde dafür sorgen, dass sie das auch in der Tat nicht tun!«
»Von wegen Sorge tragen«, zischte Sewis Fygen leise zu. »Arbeiten sollen wir bis zum Umfallen, damit sie immer reicher und fetter wird.«
Fygen sog erschrocken die Luft ein, doch Mettel hatte den respektlosen Kommentar nicht gehört. Die Meisterin schien ein wenig schwerhörig zu sein, nahm Fygen verwundert zur Kenntnis.
Die Alte raunzte weiter: »Wo wir gerade von der Zunft sprechen! Ich muss dich innerhalb von vierzehn Tagen in das Lehrtöchterbuch eintragen lassen. Die Einschreibegebühr beträgt eine Mark, damit du zur Lehre zugelassen wirst. Dein Oheim hat versprochen, dir das Geld für das Seidamt mitzugeben. Am besten, du gibst es mir jetzt gleich.«
Fygen hatte den Eindruck, dass die Augen der Meisterin einen listigen Ausdruck angenommen hatten, sobald sie das Geld erwähnt hatte. Und jetzt, wo sie ihren Vetter erwähnte, meinte Fygen auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden feststellen zu können.
»Wo hast du es?«, wollte Mettel wissen.
Fygen griff nach dem Saum ihres Rockes, in den Lijse das Geld eingenäht hatte. An welcher Stelle hatte sie es denn befestigt? Mit beiden Händen tastete sie sich an dem Saum entlang. Nichts. Das Geld war nicht da. Noch einmal fuhr sie den gesamten Rock entlang, jedoch ohne Erfolg. Dann bückte sie sich, schlug die Rockkante um und untersuchte Stück für Stück den Saum. Schon nach wenigen Sekunden hatte sie die Stelle gefunden, an der das Geld verborgen gewesen war. Der Stoff war ein Stück weit eingerissen, gerade groß genug, dass die Münze hindurchpasste. Fygen erschrak zutiefst, und ihre Gedanken überschlugen sich. Wenn das Geld fort war, würde sie dann trotzdem Seidmacherin werden dürfen? Oder würde man sie davonjagen? Wie sollte sie nach Zons zurückkommen? Und wie würde sie dort empfangen werden?
Mettel, die mit zusammengekniffenen Augen beobachtet hatte, wie Fygen nach dem Geld suchte, schnaubte: »Jetzt sag nicht, dass es verschwunden ist.«
»Es ist weg.« Fygen nickte. »Aber ich kann mir nicht erklären, wie es fortkommen konnte. Ich habe den Rock nicht aus den Augen gelassen.«
»Hat sich wohl in Luft aufgelöst, was?«, sagte Mettels Tochter höhnisch, doch ohne den Einwurf und das Kichern der anderen Mädchen zur Kenntnis zu nehmen, schalt Mettel weiter: »Aber ich kann es dir erklären. Du hast das Geld schon unterwegs verprasst, du undankbare kleine Kröte. Ohne die Mark kannst du geradewegs wieder dahin zurückkehren, wo du herkommst.« Selbstgerecht stemmte sie beide Arme in die ausladenden Hüften. »Ich denke ja gar nicht daran, für dich auch nur einen Pfennig auszugeben.«
Betroffen ließ Fygen diese Beschimpfung über sich ergehen. Immer noch
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