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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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aufnimmt.« Grete musste schon eine Zeitlang an dem Tuch gearbeitet haben, vermutete Fygen, denn auf dem Warenbaum vor ihrer Brust hatte sich bereits eine beträchtliche Menge Seidenstoff gebildet, der sorgfältig zu einer Rolle gewickelt war.
    Katryn fuhr fort: »Dann werden die Schussfäden zwischen die Kettfäden gelegt. Das ist das eigentliche Weben. Als Schussgarn kann man die verschiedenen Seidengarne verwenden. Es ist meist dicker und weicher als das Kettgarn und viel weniger gezwirnt.« Sie nahm ein flaches, gut geglättetes Stück Holz zur Hand und zeigte es Fygen. In dem Holzstück war eine Kammer mit einem Dorn, und auf diesem saß eine mit feinem Seidengarn gefüllte Spule. »Dies ist ein Schiffchen«, erklärte sie. »Es wird durch die Kettfäden geführt. Der Faden wickelt sich ab und bleibt zwischen den Kettfäden liegen. Dadurch dass der Schussfaden abwechselnd über und unter den Kettfäden entlanggeführt wird, entsteht das Gewebe.«
    Aufmerksam hatte Fygen den Worten des älteren Mädchens gelauscht und nickte. So weit hatte sie den Webvorgang verstanden.
    »Die Kettfäden werden beim Aufscheren zunächst durch die Kammlade gezogen.« Katryn wies auf einen schmalen Holzrahmen, in den dicht nebeneinander Reethalme eingezogen waren, zwischen denen die Kettfäden hindurchliefen. Grete zog die Lade kräftig zu sich heran und schlug den soeben eingelegten Schussfaden an.
    »Wozu sind diese Schlaufen da?«, wollte Fygen wissen und zeigte neugierig auf leinene Ösen, die zwischen zwei Leisten geknüpft waren und durch die ein Teil der Kettfäden lief. Die Leisten waren mit Schnüren an einem Holzgestell oberhalb des Webstuhles befestigt.
    »Gib dir keine Mühe, ihr das alles zu erklären«, bemerkte Grete herablassend. »Das lohnt sich nicht, sie ist zu dumm, das zu verstehen. Geh lieber an deine Arbeit.«
    Ohne auf den Einwurf zu reagieren, fuhr Katryn in ihren Erklärungen fort: »Das sind sogenannte Litzen. Schau hier.« Katryn wies mit ausgestrecktem Finger auf die Ösen. Von dort fuhr sie die Schnüre entlang, die über eine kleine Rolle liefen und dann nach unten führten, wo sie mit hölzernen Pedalen verbunden waren. Jedes Mal wenn Grete ein Pedal trat, wurde ein Holzgestell, Schaft genannt, mitsamt seinen Ösen in die Höhe gezogen. Dabei entstand auch das klappernde Geräusch, das täglich vom Morgengrauen bis in die Abendstunden über die Höfe schallte, stellte Fygen fest. Das Heben des Schaftes führte dazu, dass die Kettfäden, die durch die entsprechenden Ösen gefädelt waren, angehoben wurden. Alle anderen Kettfäden blieben unten, stellte Fygen fest, so dass sich ein breiter Abstand zwischen den Kettfäden bildete. »Das nennt man ein Fach«, erklärte Katryn. Und durch dieses Fach beförderte Grete nun das Schiffchen mit dem Schussfaden. Dann nahm sie den Fuß vom Pedal, und der Schaft sank hinab. Grete schlug die Kammlade an und trat ein anderes Pedal, das wiederum andere Kettfäden anhob und ein anderes Fach bildete. Wieder kam ein Schussfaden hinein, und so ging es weiter. Fasziniert betrachtete Fygen das flinke Zusammenspiel der Schäfte und sah zu, wie das Stück Seidenstoff vor Gretes Brust Faden für Faden immer breiter wurde.
    »Was stehst du hier noch so dumm herum«, fauchte ihre Base. »Hilf lieber Hylgen, den dritten Webstuhl aufzuscheren.«
    Das ließ Fygen sich nicht zweimal sagen. Endlich durfte sie selbst Hand anlegen. Eifrig machte sie sich an die mühselige Arbeit, Kettfäden durch die Kammlade zu fädeln.
    Grete wies Sewis, die bereitwillig ihren Platz neben Hylgen für Fygen geräumt hatte, an, Schussgarn für sie auf Spulen zu wickeln. »Nimm das Garn von dem Stoß da drüben«, herrschte sie das Mädchen an und deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen großen, in Leinen eingeschlagenen Stapel Garn.
    Fygen bemühte sich, sehr sorgsam zu arbeiten, damit sich die feinen Fäden, die sicher nicht kürzer als ein Reif, also zehn kölnische Ellen, waren, nicht verhedderten. Denn das wäre schlicht eine Katastrophe gewesen, die man ihr sicher nicht nachgesehen hätte. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie zusammenschrak, als Grete Sewis plötzlich eine Garnrolle aus der Hand schlug. Überrascht blickte Fygen der Spule nach, die über den Holzboden rollte, und hörte, wie Grete Sewis anbrüllte: »Kann das denn wahr sein? Wie kannst du nur so dumm sein. Ich habe ausdrücklich Schussgarn gesagt. Das sieht doch wohl jeder Hornochse, dass das Kettgarn ist. Bist du denn

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