Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
blind?« Wütend war sie von ihrem Sitzplatz am Webstuhl aufgesprungen und hatte sich drohend, die Arme in die Seiten gestemmt, vor dem zierlichen Mädchen aufgebaut.
»Aber es ist das Garn von dem Stapel …«, versuchte Sewis sich zu verteidigen, doch Grete wetterte weiter: »Was ich gesagt habe, ist doch wohl egal. Das hier ist Kettgarn, du solltest mir Schussgarn wickeln. Bin ich denn hier nur von Dummköpfen umgeben? Wickel das sofort um!«, donnerte sie und stapfte wutschnaubend aus der Werkstatt. Krachend fiel die Tür hinter ihr zu.
»Du liebe Zeit, die hat ja heute eine Laune«, kommentierte Sewis den Wutausbruch und machte es sich auf einer Bank gemütlich. Auch die anderen Mädchen nutzten die Gelegenheit für eine Pause.
»Wieso hat sie eigentlich hier das Sagen?«, wollte Fygen wissen. »Sie ist doch selbst noch in der Lehre.«
»Ja, weißt du, meist ist es so, dass eine Seidweberin einen Seidenhändler heiratet. Das ist sehr vorteilhaft, denn sie kann sich um die Weberei kümmern und die Lehrmädchen und Helferinnen beaufsichtigen, während ihr Mann sich um den Einkauf der Rohseide kümmert und für den Verkauf ihrer Waren sorgt«, erklärte Katryn.
»Aber der alte Johann Elner, Gott habe ihn selig, ist halt schon tot«, fügte Hylgen hinzu.
»Gott hat ihn sicher selig, sonst hätte er ihn nicht so früh zu sich gerufen und von seiner Hexe von Ehefrau befreit«, warf Sewis respektlos ein.
»Wie kannst du so lästerlich sprechen?«, rügte Hylgen.
»Und deshalb kümmert Mettel sich jetzt um den Verkauf der Stoffe und Grete um die Weberei«, schloss Katryn ihre Erklärung ab, ohne auf das Wortgeplänkel der beiden einzugehen.
»Es ist weitaus besser, mit Grete als mit Mettel selber zu arbeiten«, unkte Sewis mit gewichtigem Kopfnicken. »Das wirst du schon noch herausfinden.«
»Kommt, lasst uns an die Arbeit gehen«, ermahnte Katryn die Mädchen und ließ sich wieder hinter ihrem Webstuhl nieder. Kurz darauf erfüllte rhythmisches Klappern die Werkstatt.
8. Kapitel
S ie war hundemüde, und nach der Schufterei hätte sie eigentlich schlafen müssen wie ein Stein, doch Fygens Gedanken fanden keine Ruhe. Eine knappe Woche war sie nun schon bei Mettel, doch so unglücklich und einsam wie heute hatte sie sich noch nicht gefühlt. Dabei hatte der Tag so verheißungsvoll angefangen.
Es war Sonntag, der Regen hatte allen Staub und Schmutz fortgewaschen, und die Sonne schien frisch auf einen strahlend klaren Morgen. Die Mädchen ließen sich viel Zeit bei der Morgentoilette und schlüpften in ihre Sonntagskleider. Nach dem Frühstück banden sie sich sorgfältig weiße, frisch gestärkte Hauben um und machten sich gemeinsam auf den kurzen Weg zur Pfarrkirche St. Brigida, die, über den Heumarkt, ein Stück weit in Richtung Rhein lag. Die Aussicht auf einen freien Tag ließ die Mädchen fast ausgelassen werden. Selbst Grete war fröhlich und schwatzte lebhaft mit den anderen Mädchen. Der Zufall wollte es, dass sie just im selben Moment vor dem Portal eintrafen wie eine kleine Gruppe junger Burschen, die das Brauerhandwerk erlernten. Da gab ein scherzhaftes Wort das andere, und erst die ehrfurchtgebietende Stille im Inneren der Kirche ließ das fröhliche Necken ersterben.
Doch nach der Messe waren die Mädchen dann alle zu ihren Familien heimgekehrt, um mit ihnen den freien Tag zu verbringen. Katryn und Sewis zu ihren Eltern und Geschwistern und Hylgen zu ihrer Mutter, die allein lebte. Fygen wusste nicht, was sie mit dem Tag anfangen sollte oder wo sie hätte hingehen mögen. In dieser riesigen Stadt gab es nicht einen einzigen Menschen, den sie hätte besuchen können. Und so kehrte sie mit Grete zurück in das Elnersche Haus.
Gerade hatte sie ihre Strohbündel auf dem Boden in der Werkstatt ausgebreitet und es sich leidlich bequem gemacht, als auch schon ihre Lehrherrin im Türrahmen stand. »Ach, du scheinst ja nichts zu tun zu haben. Das trifft sich gut, denn der Schweinekoben im Hof müsste dringend ausgemistet werden.«
Den Rest des Tages hatte Fygen damit zugebracht, den widerlich stinkenden Schweinemist korbweise zum Wallgraben zu tragen und ihn zu dem anderen Unrat zu kippen, der dort vor sich hin faulte. Der Schuppen, in den die Schweine für die Nacht gesperrt wurden, war lange nicht gereinigt worden, der Mist stand sehr hoch, und so machte Fygen sich wieder und immer wieder auf den Weg zum Graben.
Als sie einmal mehr mit ihrer stinkenden Last aufbrach, saß die freche kleine Göre
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