Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
vorbei. Alle drei waren blond, und alle trugen sie Peter Lützenkirchens Gesichtszüge. Verärgert über sich selbst schüttelte Fygen den Kopf, zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung und strich erneut Katryn eine Strähne aus dem Gesicht.
Endlich, als das erste bleiche Morgenlicht in die Stube sickerte, ließ das Fieber widerwillig sein Opfer aus den Klauen, und Fygen hatte das Gefühl, Katryns Temperatur sei ein wenig gesunken. Behutsam wechselte sie die blutgetränkten Binden aus und deckte die Freundin erneut zu.
Wieder und wieder legte sie Katryn die Hand auf die Stirn. Doch es vergingen noch ein paar Stunden, ehe Katryns Haut sich wieder normal anfühlte. Am späten Vormittag ließ dann auch die Blutung nach, und in dem Maße, in dem das Fieber schwand, kehrte Katryns Bewusstsein zurück.
Gegen Mittag schaute Lena nach der Patientin und verabreichte ihr erneut einen Kräuteraufguss. Sie zeigte sich erfreut von Katryns Besserung, dennoch ermahnte sie Fygen, weiterhin sorgfältig die Binden zu erneuern und darauf zu achten, dass Katryn das Bett nicht verließ. »Die Gefahr ist noch nicht vorbei!«, warnte sie.
Das Fieber kehrte nicht zurück. Die Blutung hatte aufgehört, doch Katryn wollte sich nicht recht erholen. Sie blieb schwach und blass, war oft abwesend, wenn Fygen und Adelheid ihr Gesellschaft leisteten, und nur mit Mühe konnte Fygen sie ab und an dazu bewegen, ein wenig zu essen. Sie machte sich große Sorgen um Katryn. Doch Lena, die hin und wieder nach der Patientin schaute, versicherte ihr: »Körperlich ist alles in Ordnung mit ihr. Es ist das Herz, Fygen. Katryn trauert.«
2. Kapitel
U nd diese ganze Misere nur wegen des Erzbischofs«, klagte Mertyn.
Es war ein warmer Spätsommerabend, mit dem Versprechen auf einen baldigen Herbst in der lauen Luft. Peter war zu Besuch gekommen, um den Erfolg der Reise und ihre sichere Wiederkehr zu feiern, und Katryn hatte dies zum Anlass genommen, zum ersten Mal das Bett zu verlassen. Sie sah noch immer angegriffen aus, war blass und abgemagert, doch seit Mertyn zurückgekehrt war, hatten die Haselnussaugen wieder ein wenig Glanz bekommen. Einen breiten Schal um die Schultern geschlungen, genoss sie es, friedlich dazusitzen, während die Männer sich unterhielten. Ab und an drückte sie verstohlen Mertyns Hand, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da war, hier neben ihr saß, leibhaftig und aus Fleisch und Blut. Der Apfelbaum reckte seine ausladenden Äste über ihre Köpfe, und Fygen genoss den leichten Windhauch, der durch den Hof strich.
»Glaub doch nicht, dass das mehr als ein Vorwand ist«, widersprach Peter Mertyn voller Überzeugung. Ruprecht von der Pfalz wurde von Köln nicht als Erzbischof anerkannt, doch Peter hielt dies nicht für den wahren Grund des Konfliktes. »Der Herzog von Burgund hat Ambitionen. Er will König werden über einen großen burgundisch-niederländischen Staat, das ist es, was er meiner Meinung nach beabsichtigt. Schau dir nur an, welche Gebiete er sich in den letzten Jahren unter den Nagel gerissen hat.« Mit der Hand skizzierte er die Umrisse Westeuropas auf die Tischplatte. »Geldern, Roermond, Venlo, Nimwegen.« Bei jedem Wort tippte er mit der Fingerspitze auf den Tisch. »Den Rhein von der Mündung bis an Kleve heran.« Seine Hand zeichnete den Flusslauf nach. »Das Herzogtum Kleve selbst ist mit ihm verwandtschaftlich verbunden«, erklärte er. »Die Grafschaft Moers hat er erobert, die Herzöge Jülich und Berg neigen ihm umso mehr zu, je mächtiger er wird. Als Nächstes will er den Mittelrhein. Kurtrier, Kurmainz, die Pfalz, die ohnehin mit ihm sympathisiert. Straßburg, Basel, bis heran an die österreichischen Vorlande am Oberrhein, die bereits an ihn verpfändet sind. Er träumt von dem alten lothringischen Zwischenreich, zwischen Frankreich und dem Rhein.« Sein Arm beschrieb einen Halbkreis, der die halbe Tischplatte umfasste.
Mertyn schaute ihn verblüfft an. So hatte er die Sache noch nicht betrachtet. »Und nur Kurköln stellt sich ihm in den Weg«, stellte er fest.
»Genau. Wie eine Barriere liegt es in seinem Weg zum Mittelrhein.« Peters Finger malte einen nachdrücklichen Strich an der betreffenden Stelle. »Doch er traut sich nicht, Köln direkt anzugreifen. Noch nicht. Dazu ist die Stadt zu stark. Und ein solcher Angriff könnte einigen böse aufstoßen. Den freien Reichsstädten, zum Beispiel, den Kurfürsten und unserem Kaiser Friedrich. Aber Neuss? Wer kümmert sich schon um Neuss?
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