Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
an Bord des Niederländers überkommen hatte, der sie ihrem neuen Leben in der großen, fremden Stadt entgegengebracht hatte. An dem Tag, an dem sie Peter Lützenkirchen zum ersten Mal begegnet war, dachte sie, und ein winziger Seufzer entwischte ihren Lippen. Nicht ihr, Fygen, galt die ganze Aufregung der letzten Wochen. Nicht sie war es, die gleich vor den Altar treten würde, um den begehrtesten Junggesellen der ganzen Seidmacherzunft zu ehelichen. Und das wundervolle, kostbare Kleid aus feinster weißer Seide, dessen weite, bestickte Tütenärmel bis auf den Boden reichten, das sich, an einem Haken hängend, leicht im Luftzug bauschte, war nicht ihr Kleid. Es war gestern von einem Boten gebracht worden, aber sicher nicht für sie.
»Au!«, schrie Fygen auf, als sich der Kamm in einem Haarknoten verfing.
»Stell dich nicht so an!«, wies Katryn sie unbekümmert zurecht, bemühte sich jedoch, vorsichtiger durch die Strähnen zu fahren.
Fygens Blicke folgten den raschen Bewegungen der Freundin, soweit ihr Blickwinkel das zuließ. Katryn schien furchtbar aufgeregt zu sein, weit mehr als Fygen selbst. Auf wundersame Weise war die Freundin wieder zu Kräften gekommen. Die bevorstehende Hochzeit hatte ihr neue Kraft, neuen Mut gegeben, und obwohl sie sich hin und wieder ausruhen musste, so hatte sie sich doch voller Elan in die Hochzeitsvorbereitungen gestürzt. Es schien, als wolle sie all das nachholen, was sie bei ihrer eigenen, heimlichen Hochzeit hatte entbehren müssen. Sie war es gewesen, die mit Peter die Gästeliste zusammengestellt, die Hochzeitsbriefe versendet, das Festessen geplant hatte. Es würde ein großartiger Tag werden, dafür hatte Katryn gesorgt.
Endlich schimmerten Fygens Locken wie altes, poliertes Holz, und ihre Lehrherrin war zufrieden. Behutsam nahm sie das kostbare Kleid von seinem Gestänge, öffnete mit flinken Fingern die unzähligen, winzigen Knöpfe und streifte es Fygen vorsichtig über, sorgsam bemüht, die Frisur nicht wieder in Unordnung zu bringen. Zum Schluss setzte sie Fygen den Blumenkranz auf das Haar, der, um frisch zu bleiben, die Nacht in einer Schale mit Wasser zugebracht hatte. Wie neuer Schnee hoben sich die weißen Blüten von ihren dunklen Locken ab und verliehen ihrem Gesicht eine zarte Verletzlichkeit.
Katryn trat zurück und bewunderte ihr Werk. Fygen sah einfach wunderschön aus. Die offenen Haare umrahmten ihr leicht von der Sonne gebräuntes Gesicht und ringelten sich über die makellosen Schultern bis fast zur schmalen Taille hinab. Peter würde seine Entscheidung sicher nicht bereuen, wenn er sie sah, und keines der Klatschmäuler aus der Zunft würde an Fygens Aussehen etwas auszusetzen haben. Behutsam breitete Katryn einen hauchzarten Schleier aus duftigem Seidengespinst über Fygens Kopf, der Gesicht und Haar verbarg. Der silbrige Schimmer vor ihren Augen führte nun endgültig dazu, dass Fygen sich in einem Märchen wähnte, und als sie im Flügel des geöffneten Stubenfensters das Bild einer liebreizenden, kostbar gekleideten jungen Braut erblickte, war sie restlos davon überzeugt, dass diese Schönheit niemals sie selbst sein könnte.
»Bist du so weit?« Während Fygen noch in Gedanken versunken gewesen war, hatte Katryn sich selbst fertig angekleidet, und in Begleitung von Mertyn machten sich die jungen Frauen auf den kurzen Weg die Straße hinab zur Pfarrkirche Klein St. Martin.
Als sie den Platz vor dem Gotteshaus erreichten, trafen die ersten Sonnenstrahlen auf die Spitze des soliden, kantigen Kirchturmes. Trotz der frühen Morgenstunde hatte sich bereits eine ansehnliche Gesellschaft versammelt. Jedes weibliche Zunftmitglied wollte die Frau sehen, die es geschafft hatte, Peter Lützenkirchen vor den Altar zu schleppen. Und die dazugehörigen Männer waren erschienen, um dem frischgebackenen Ehemann den Rücken zu stärken und ihm Mut zuzusprechen, so es denn nötig sei. Aufgeräumt tuschelte die Menge. Fygen kam der Kirchhof vor wie die Wiesen am Rheinufer, wenn die wandernden Gänse einfielen. War das Mädchen wirklich so schön? Wohlhabend war sie ja wohl nicht. Kam auch nicht aus der Stadt, aber man munkelte, dass sie wenigstens von guter Abstammung wäre.
Die Menge verstummte, um die Braut neugierig und ungeniert zu mustern. Nur zögerlich bildete sie eine Gasse, um Fygen mit Katryn und Mertyn zum Gotteshaus durchzulassen. Und gerade in diese Stille hinein brachte Grete das Gefühl so manch einer verschmähten Tochter der Zunft auf den
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