Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Lena herbeiholen. Stunden schien es zu dauern, doch schließlich hörte sie das Klappen der Vordertür, und Lenas schwere Schritte erklommen die steile Stiege. Endlich, endlich betrat die stämmige Frau die Schlafkammer, in der Katryn immer noch fieberte und gar nicht mitbekam, wie kritisch es um sie stand.
Fygen schickte Adelheid aus dem Zimmer. Es reichte, dass sie wusste, dass es ihrer Schwester schlechtging. Das Blut brauchte sie nicht zu sehen, es würde ihr nur noch größere Angst einjagen. Sie erklärte Lena, was geschehen war, und schlug das Laken beiseite. Ein kurzer Blick genügte, dann schickte Lena die Mädchen einen Becher kochendes Wasser holen, reine Tücher, und die Schüssel sollte neu, diesmal mit warmem Wasser, gefüllt werden.
Froh, etwas tun zu können, liefen Fygen und Adelheid zwischen Küche und Schlafstube hin und her. Lena hatte derweil ihren alten, abgewetzten Lederbeutel von der Schulter gleiten lassen und kramte darin herum, bis sie ein kleines leinenes Beutelchen zum Vorschein brachte. Mit einem Löffel maß sie gewissenhaft eine bestimmte Menge der getrockneten Kräuter und Rinden daraus ab und ließ sie in den Becher mit heißem Wasser gleiten. Sorgfältig rührte sie den Sud, um ihn eine Weile ziehen zu lassen, während sie die Ärmel ihres Kleides aufkrempelte. Mit Fygens Hilfe zog sie Katryn das verschmutzte Hemd aus. Willenlos ließ Katryn es geschehen, sie schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Vielleicht war das auch besser so, dachte Fygen. Katryns Unterleib lag in einer Lache dunkelroten Blutes. Fygen schluckte und tauchte ein Tuch in warmes Wasser. Nach Lenas Anweisung wusch sie behutsam der Freundin das Blut ab und zog dann das Bettlaken unter ihrem Rücken hervor, um es durch ein neues zu ersetzen. Vorsichtig spreizte Lena Katryns Beine und untersuchte die junge Frau. Katryn hatte eine Menge Blut verloren, und noch immer sickerte ein hellroter Faden aus ihrer Scham hervor. Lena hieß Fygen ein reines Leinenlaken in Streifen reißen. Sie bückte sich und nahm eine gläserne Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit aus ihrem Lederbeutel. Als sie den Korken entfernte, stieg Fygen der scharfe Duft von Minze in die Nase. Lena träufelte ein wenig davon auf einen der Stoffstreifen, den Fygen ihr reichte, und legte ihn Katryn als Binde zwischen die Beine. »Gebe Gott, dass es sich nicht entzündet. Das wäre ihr Tod. Hast du genau zugeschaut? Du wirst die Binden alle paar Stunden wechseln. Tränke sie gut und reichlich mit dem Aufguss, ich lasse dir die Flasche da. Und wasch dir vorher immer gründlich die Hände!«
Nun griff Lena nach dem Becher mit dem Kräutersud, der sich inzwischen ein wenig abgekühlt hatte. Fygen legte den Arm um die Freundin und richtete ihren Oberkörper so weit auf, dass Lena ihr behutsam das dunkle Gebräu einflößen konnte. Dann nahm sie ein frisches Hemd aus der Eichentruhe an der Wand und streifte es Katryn über den Kopf.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie Lena.
»Nichts, mein Kind. Mehr können wir nicht tun. Nur hoffen, dass die Kräuter das Fieber senken und die Blutung zum Stillstand kommt. Und beten. Sie hätte sich schonen müssen in ihrem Zustand, statt Bäume auszureißen.«
»Was meinst du mit ihrem Zustand? Was ist mit Katryn?«
»Sie hatte eine Fehlgeburt.«
»Eine Fehlgeburt«, wiederholte Fygen betroffen. »Ich wusste gar nicht, dass sie ein Kind erwartete.«
»Vielleicht wusste sie es selber nicht?«
»Aber sie und Mertyn wünschen sich so sehr ein Kind. Sie sind schon ganz betrübt, weil sie noch keines haben.«
»Nun, sie ist noch jung. Vielleicht wird ja alles gut, und sie bekommt noch eine Menge Kinder«, tröstete Lena.
Dann war Fygen wieder allein mit Katryn. Und immer noch wütete das Fieber in Katryns Körper. Die Freundin warf sich in ihrem Bett hin und her. Manchmal murmelte sie etwas, und Fygen schreckte auf, doch die Worte konnte sie nie verstehen. Fygens Gedanken kreisten um Katryn, Mertyn und das Kind, das sie sich wünschten und nun verloren hatten. Wie würde Katryn damit fertig werden? Wenn sie es überlebte. Fygen schob den Gedanken entschieden beiseite. Katryn würde überleben! Und sie würde wieder ein Kind bekommen können!
Es musste schön sein, eine eigene kleine Familie zu haben. Fygen versuchte, sich selbst als Mutter vorzustellen, doch so recht gelang ihr das nicht. Dafür brauchte man einen Mann. Ohne dass sie es verhindern konnte, huschten drei kleine Mädchen an ihrem inneren Auge
Weitere Kostenlose Bücher