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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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hielt Rudolf einfach nicht stand. Konnte er gar nicht. Fort mit den Gedanken, sie führten zu nichts, befahl sie sich. Rudolf würde ihr sicher ein guter Ehemann werden. Auch äußerlich hatte er sich zu seinem Vorteil verändert. Die jugendliche Akne war gewichen, ohne allzu tiefe Narben zu hinterlassen, und das Schlaksige seiner Gliedmaßen hatte sich ausgewachsen. Er hatte ein gesichertes Auskommen und würde einmal das Goldene Krützchen von seinen Eltern übernehmen. Aber Fygen wollte keine Wirtsfrau werden. In Wirtschaften hatte sie sich nie so wohl gefühlt wie beispielsweise Sewis. Sie wollte Seidmacherin bleiben. Dafür hatte sie die vier Jahre hart gearbeitet. Sie liebte die Seidenweberei. Doch was hatte sie für eine Wahl? Als Waise, ohne Mitgift, ohne Vermögen? Rudolf zu heiraten wäre sicher nicht das Schlechteste. Durfte sie sich eine solche Chance entgehen lassen?
    Die Situation war ihr schrecklich peinlich. Warum hatte Rudolf nicht gewartet, bis sie unter sich waren?
    »Rudolf, du hast ein Geschick, dir immer einen großartigen Zeitpunkt auszusuchen«, tadelte sie und warf einen schnellen Seitenblick auf Peter. Der starrte mit unbeweglicher Miene wie unbeteiligt in die Krone des Apfelbaumes über sich, und Fygen empfand seine Diskretion als umso peinlicher.
    Doch sie ahnte nicht einmal, was in Peters Kopf vorging. Durch seine Geschäfte hatte Peter nur zu gut gelernt, seine wahren Gefühle hinter einer gleichgültigen Miene zu verbergen. Jetzt tobte es in seinem Inneren. Das konnte nicht wahr sein. Der Kerl konnte Fygen doch nicht allen Ernstes heiraten wollen. Sie war doch noch ein Kind! Er hatte Fygen immer als sein Eigentum betrachtet, war sich sicher gewesen, dass sie, wenn sie erst einmal erwachsen geworden wäre, ganz selbstverständlich seine Frau werden würde. In schmerzlicher Genauigkeit erinnerte er sich an ihre erste Begegnung auf dem Schiff, sah das hilflose, schmächtige Ding vor sich kauern, dem Eckert seine Gerte über den Arm gezogen hatte. Beim Anblick der Narbe zuckte Peter noch heute voller Scham zusammen. Dann ihr mutiger, ja dreister Auftritt bei Katryns Prüfung. Dafür zollte er ihr Respekt, obwohl sie ihm frech ins Gesicht gelogen hatte. All die Jahre danach hatte er ein wachsames Auge auf sie gehabt. Er hatte geglaubt, er hätte alle nur erdenkliche Zeit. Was für ein Esel er war! Sah er denn nicht, dass sie längst erwachsen geworden war? Worauf hatte er gewartet? Und nun drohte ein anderer ihm einfach zuvorzukommen. Er hatte persönlich nichts gegen Rudolf. Der war ein feiner Kerl, aber Fygen gehörte ihm. Peter war gewöhnt, rasche Entscheidungen zu treffen, das brachte seine Tätigkeit ebenfalls mit sich. Zaudern half in den seltensten Fällen. Jetzt galt es, alles auf eine Karte zu setzen.
    »Lass nur, Fygen, der Zeitpunkt ist nicht schlechter als jeder andere«, sagte er beschwichtigend und fuhr, an Rudolf gewandt, fort, nun aber mit Granit in der Stimme: »Herr van Bensberg, Euer Antrag ehrt Euch. Doch Ihr werdet sicher Verständnis dafür haben, dass meine Verlobte« – hier machte er eine Pause, um seinem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, den Sinn des letzten Wortes auch zu erfassen – »aus offensichtlichen Gründen Euer Angebot nicht annehmen kann.«

3. Kapitel
    M it flatterigen Händen riss Katryn die Fensterflügel auf und ließ die Reste kühler Nachtluft in die Stube fluten. Der lange Sommer war zu Ende gegangen, und die Luft war jetzt, kurz vor Tagesanbruch, erfrischend klar. Doch auch sie vermochte es nicht, Fygen den Schlaf aus den Gliedern zu treiben. Sie gähnte herzhaft, als Katryn sie mit sanfter Gewalt auf einen Schemel drückte. Nur in ihre Untergewänder gekleidet, wie Fygen selbst, doch bereits vollständig frisiert und zurechtgemacht, wirbelte die Freundin durch die Stube. Hektisch begann sie Fygens vom Schlaf zerzauste Locken mit Kamm und Bürste zu bearbeiten.
    Warum, in aller Welt, mussten die Trauungen zu nachtschlafender Zeit abgehalten werden, haderte Fygen. Nur weil die Priester es gewohnt waren, ihrer Gebete wegen kurz nach Mitternacht aus ihren Federn zu kriechen, mussten sie Gleiches doch nicht auch ihren Schäfchen zumuten. Und erst recht nicht einer jungen Braut, die für ihre Toilette an diesem Tag besonders viel Zeit benötigte. Veilchenfarbenes Licht sickerte durch das Fenster, brachte die leichten, weißen Leinenvorhänge zum Zittern und schwemmte eine unwirkliche Stimmung herein. Die gleiche Stimmung wie sie Fygen damals

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