Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
schluckte sie, drückte ihren Rücken durch und reckte entschlossen das Kinn vor. Dies war ihre Hochzeit, und wenn das die Menschen waren, mit denen ihr Gatte umzugehen pflegte, so würde sie schon lernen, sich unter ihnen zu bewegen.
Es wurde ein langes, ausgelassenes Fest. Vornehm oder nicht, die Gäste machten sich herzhaft über die Köstlichkeiten her, die Platte um Platte aufgetragen wurden. Teller, Schüsseln, Terrinen mit gebratenem Wildschwein, Kaninchen mit Pfeffer, Hühnchen, zarten Wachteln, Feldhühnern, herzhaften Würsten, saurem Kappes, Hecht, gesottenem Karpfen mit Speck, Obst und vielerlei Sorten Gebäck wurden herbeigeschleppt und, restlos leergegessen, wieder davongetragen. Kräftig sprach man dem guten Wein von Rhein und Nahe zu, und so manch einer löste verstohlen Knopf und Hosenbund, um dem Magen mehr Platz zu verschaffen. Als auch der Hungrigste unter den Gästen restlos gesättigt war, spielte man zum Tanz auf. Das Brautpaar führte einen schwungvollen Reigen an, und im Takt von Trommeln und Flöten formierten sich die jüngeren Gäste zum Reihentanz.
Durch die schmeichelnden Worte der Frauen und die echte Bewunderung, die ihr seitens der männlichen Gäste zuteilwurde, hatte sich Fygen zusehends entspannt, und sie begann ihr Hochzeitsfest zu genießen. Ihre kleine Hand in Peters sicherem Griff zu spüren brachte das Glücksgefühl, das sie seit der Trauung verspürt hatte, zurück. »Amüsierst du dich gut, kleiner Mösch?«, fragte Peter zärtlich und blickte stolz auf seine hübsche Gattin hinab. Auf seinem Gesicht lag ein glückliches Lächeln, das ihn fast ein wenig einfältig wirken ließ. Der Tanz erforderte, dass die Dame eine Drehung vollführte, und so drückte Fygen ihm als Antwort nur kurz die Hand und strahlte ihn an.
Nur einer dauerte sie sehr an diesem Tag, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als sie Rudolfs hoch aufgeschossene Gestalt am Rande der Tanzfläche erblickte. Aufrecht und beherrscht stand er da, in der Hand den wie vielten Becher Wein, und beobachtete das Treiben. Doch die zusammengekniffenen Lippen in seinem sonst so fröhlichen Gesicht verrieten, wie schwer es ihm fiel, an diesem Tag die Haltung zu bewahren.
Peters Augen waren Fygens besorgtem Blick gefolgt. »Er wird darüber hinwegkommen, glaub mir, es ist eine Frage der Zeit«, tröstete er sie.
Plötzlich sah Fygen aus dem Augenwinkel eine Bewegung und erschrak. Eilig wand sie sich aus Peters Armen und ließ ihren verdutzten Ehemann allein auf der Tanzfläche stehen. Mit eiligen Schritten lief sie auf das geöffnete Fenster zu, und nun erkannte auch Peter den Grund ihrer Hast. Auf dem schmalen Fensterbrett turnte eine kleine, schmächtige Gestalt mit zerwuscheltem Blondschopf herum und drohte jeden Moment nach draußen zu stürzen. Hastig streckte Fygen die Arme aus, um den kleinen Herman zu packen, bevor er aus der ersten Etage, in der sich der Festsaal befand, in den Hof fiel.
Vielleicht hatte Fygen ihn erschreckt, und er war deshalb nach hinten getaumelt, vielleicht war sie aber auch nur eine Sekunde zu spät gekommen – sie erwischte ihn nur noch am Hosenbein. Sein kleiner Körper baumelte mit dem Kopf nach unten vor der Fassade des Hauses, einige Fuß tief unter sich den gepflasterten Hof, auf dem nichts wuchs, das seinen Fall würde dämpfen können. Aus Leibeskräften rief Fygen um Hilfe, doch ihre Schreie wurden noch übertönt von dem hohen verzweifelten Weinen des kleinen Kerls, dessen Leben an einem dürftigen Stück Stoff hing. Fygen mühte sich, mit der freien Hand seinen Fuß zu greifen, doch fasste sie immer wieder vergeblich ins Leere. Verzweiflung machte sich in ihr breit. In seiner Angst krümmte der Junge sich zusammen, und seine Händchen ruderten wild in der Luft. Fygen hatte Angst, dass er ihr durch seine wilden Bewegungen entgleiten könnte, bevor ihnen jemand zu Hilfe kam. Doch dann bekam Herman endlich etwas zu fassen. Einen der modisch langen Tütenärmel von Fygens Gewand. Mit aller Kraft klammerte er sich daran fest. Fygen versuchte, ihn am Hosenbein in die Höhe zu ziehen, doch dann geschah es. Der Stoff rutschte ihr aus den Fingern. Herman schrie gellend auf, Fygens Ärmel fest mit beiden Fäusten gepackt. Man hörte das grässliche Geräusch von reißendem Stoff. Herman sackte ein gutes Stück ab, und Fygens Ärmel war zur Hälfte aus dem Kleid gerissen. Doch jetzt vermochte sie mit beiden Händen seine dünnen Unterarme zu fassen und ihn langsam
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