Die Seilschaft
hören. Pumps klackten auf dem Holzboden. Ute Mayer eilte Wohlfarth mit dem Notizzettel zu Hilfe. Etwas streifte das Mikrophon. Ein dumpfes Geräusch, das von einer Jacke oder einer Hand stammen konnte. Und dann endlich Ute Mayers Stimme.
«Pack deinen lächerlichen Zettel und verschwinde hier.»
Aus der Menge gellten Pfiffe dazwischen.
«Ich weiß, was damals im Dorf wirklich passiert ist. Sie hat mir alles erzählt.»
«Nein», antwortete Wohlfarth, «sie lügt.»
Er räusperte sich, versuchte auf offener Bühne die Selbstbeherrschung zu bewahren, sprach noch ein paar Worte, bis er zusammenbrach.
Kilian setzte den Kopfhörer ab.
«Ich verstehe nicht. Was soll sich in dem Dorf zugetragen haben?»
«Der Fall des Mädchens, das jahrelang missbraucht wurde.»
«Nie davon gehört.»
«Ein Mädchen wurde von einem, dann zwei Männern über Jahre hinweg missbraucht und vergewaltigt. Der Hauptbeschuldigte hatte sich gleich das Leben genommen, beim anderen, man vermutete, dass es sich um Wohlfarth handelte, hat die Partei ihre Beziehungen spielen lassen und alle mundtot gemacht. Das ging landauf, landab durch die Presse. Sie haben nie davon gehört?»
Kilian verneinte.
«Und wie kommen Sie darauf, dass es sich bei Ute Mayers Bemerkung genau um diesen Vorfall handelt?»
«Weil sich Wohlfarth nach den Wahlen in der alten Heimat zur Ruhe setzen wollte. Darüber wird geredet. Wohlfarth und das Mädchen aus dem Dorf … das ist Lokalkrimi pur.»
Die Netzwerkpolitik des Clubs der Ehemaligen kam Kilian in den Sinn. War Wohlfarths dunkle Vergangenheit das, worüber Schwerdt gesprochen hatte? Informationen über unliebsame Gegner sammeln und sie als Druckmittel einsetzen?
«Wieso habe ich über diese Bemerkung nichts in den Medien gehört?», fragte Kilian. «Das wirft doch ein ganz anderes Bild auf den Fall.»
Harry seufzte.
«Was glauben Sie denn, was ich gleich als Erstes getan habe, als ich wieder in den Sender zurückkam? Das war die Story schlechthin. Ich habe dem Redakteur die Aufnahme vorgespielt. Der wurde daraufhin ganz bleich und lief zu seinem Chef. Nach weniger als einer Stunde war der Fall kein Fall mehr. Ich wurde unmissverständlich angewiesen, die Aufnahme zu löschen und kein Wort mehr darüber zu verlieren, sofern mir an meinem Arbeitsplatz noch etwas liegt.»
«Das haben Sie dann auch getan.»
Harry nickte.
«Leider ja. Aber ich habe das Band nicht gelöscht. Ich werde es für den geeigneten Moment aufbewahren.»
«Das werden Sie nicht», entgegnete Kilian. «Das ist Beweismaterial und gehört in die Hände der Kripo.»
«Aber …»
«Nichts aber. Vertrauen Sie mir. Ich habe nicht vor, die Aufnahme zu unterschlagen. Sie spielt eine wichtige Rolle in einem aktuellen Mordfall. Also, her damit.»
Kilian streckte fordernd die Hand aus.
«Sie sind nur ein kleiner Fisch», protestierte Harry. «Wenn die Bosse das Band verschwinden lassen wollen, werden Sie nichts dagegen unternehmen können.»
«Niemand will hier irgendetwas unterschlagen. Außerdem machen Sie sich strafbar, wenn Sie das Band zurückhalten.»
Widerwillig händigte Harry das Band aus.
«Sie sind schuld, wenn die Sauerei von damals nie aufgeklärt wird.»
«Keine Sorge, ich werde die notwendigen Schritte einleiten.»
«Versprochen?»
«Versprochen. Bis es so weit ist, halten Sie den Mund darüber.»
27
Es war Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.
In der vergangenen Nacht hatte Kilian lange darüber nachgedacht, was er mit der Tonbandaufzeichnung anstellen sollte.
Vieles sprach dafür, die Aufnahme wie jeden anderen Beweis in die Ermittlung einfließen zu lassen. Das hätte eine offizielle Befragung Ute Mayers zur Folge gehabt.
Sofern Schwerdts Angaben stimmten, würde er damit einem Netzwerk an einflussreichen Leuten gegenüberstehen, die eine der Ihren – Ute Mayer – aus dem Schussfeld nehmen mussten. Würde Kilian die Kraft aufbringen, sich dem zu stellen, oder war es besser, den inoffiziellen Weg zu gehen, das Band erst auf seine Brisanz zu prüfen, bevor es aktenkundig wurde?
Er entschied sich für Letzteres, und das hieß Klein. Der kannte die Verstrickungen in Würzburg und darüber hinaus gut. Klein würde wissen, wie mit dem Material umzugehen war.
«Herrschaftszeiten, Kilian», polterte er, als er die Aufnahme vom Band gehört hatte. «Was denken Sie sich dabei, mir dieses Zeug vorzuspielen? Haben Sie eine Ahnung, in welche Situation Sie mich damit bringen?»
«Ich ging davon aus, dass Sie am
Weitere Kostenlose Bücher