Die Seilschaft
bereits weiß?»
«Sie wissen nichts.»
Aus dem Hintergrund trat Schwerdts Geliebte Charlotte Henning hervor – ihre Hand lag für eine Frau verdächtig vertraut auf Ute Mayers Schultern.
«Ich brauche mich nicht zu verstecken. Außerdem kennen wir uns bereits.»
Ute Mayer legte den Arm um sie.
26
Heinlein sah nicht gut aus. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen, wirkte ungepflegt und geistesabwesend. Das Abendessen stand unberührt vor ihm auf dem Tisch. Er blickte zum Fenster hinaus. Doch er starrte nur in seine eigene Reflexion.
Eine halbe Stunde lang hatte Kilian ihn in diesem lethargischen Zustand beobachtet, ohne dass Heinlein auch nur eine Reaktion gezeigt hätte. Sein Blick war mit der spiegelnden Fensterscheibe verhaftet. Was meinte er darin zu erkennen?
Kilian rief eine Krankenschwester herbei.
«Was ist mit ihm los?»
«Er hatte ein Therapiegespräch.»
«Und?»
Sie seufzte. «Es lief nicht so gut.»
«Können Sie mir das etwas detaillierter beschreiben. Was heißt
Es lief nicht so gut
?» Er biss sich auf die Lippen, um seine Verärgerung über die laxe Antwort zu bändigen.
«Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als dass Herr Heinlein sehr bedrückt und nicht ansprechbar aus seiner Therapiesitzung zurückgekommen ist. Wenn Sie Einzelheiten erfahren wollen, dann sprechen Sie mit dem behandelnden Arzt.»
«Wo kann ich ihn finden?»
«Sofern er nicht schon nach Hause gegangen ist, am Ende des Gangs, rechts.»
Er folgte der Beschreibung und traf den Arzt, der soeben sein Büro abschloss.
«Was ist mit Herrn Heinlein geschehen?», fragte Kilian. «Er macht einen völlig verstörten Eindruck.»
Der Arzt schaute ihn aus müden Augen an. «Es war ein langer Tag. Können wir morgen darüber sprechen?»
«Ich möchte aber jetzt wissen, was mit meinem Kollegen passiert ist.»
«Herr Heinlein hat ein tiefgehendes Gespräch hinter sich. Heute hat er sich erstmals zu seinen Kindheitserlebnissen geäußert, und wie es scheint, ist damals einiges schiefgelaufen. Sein Vater war selten zu Hause, und wenn er mal da war, gab es Streit. Mehr kann ich noch nicht dazu sagen.»
«Wie geht es nun weiter mit ihm?»
«Er hat etwas zur Beruhigung bekommen, was ihn die Nacht hindurch gut schlafen lässt.»
«Und morgen?»
«Arbeiten wir weiter daran. Das Beste, was Sie für ihn tun können, ist, ihn nicht zu stören. Er braucht Ruhe und Abstand. Bitte respektieren Sie das im Interesse Ihres Kollegen. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen?»
Kilian ließ ihn ziehen, wenngleich er gute Lust gehabt hätte, ihn zu packen und zu Heinlein zu schleifen. Was hatten sie nur aus seinem Freund gemacht, der ehemals vor Kraft und Lebensfreude strotzte? Jetzt war er nur noch ein bemitleidenswertes Bündel aus Trübsinn und Resignation.
Als er zurück zum Speiseraum kam, war Heinlein schon nicht mehr da. Eine Schwester hatte ihn zu seinem Zimmer gebracht, wo er in tiefen Schlaf gefallen war. Morgen sehe man weiter, hieß es. Kilian solle sich keine Sorgen machen. Sein Freund sei in guten Händen.
Kilian gab sich vorerst damit zufrieden. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Er machte sich auf den Rückweg in die Stadt. Pia würde ihn bereits erwarten. Doch als er an einem Zimmer vorbeikam, erregten die Nachrichten seine Aufmerksamkeit.
«… hat der stellvertretende Parteivorsitzende Günter Wohlfarth einen Herzinfarkt erlitten. Er hatte an einer Wahlkampfveranstaltung in Würzburg teilgenommen, wo er auf der Bühne zusammengebrochen war. Nun kämpfen die Ärzte um sein Leben. Familie und Freunde des Politikers zeigten sich schockiert. Wie aus der Parteizentrale inzwischen zu hören war, soll der Landesgruppenchef Reiner Schachtner die Aufgaben Wohlfarths kommissarisch übernehmen. Gegen diese Entscheidung regt sich nun Widerstand aus dem Lager der Frauen in der Partei. Sie fordern eine der Ihren in das Amt.»
Dieses Streben nach Posten und Ämtern nahm allmählich verdächtige Ausmaße an. Hätte Kilian Wohlfarths Zusammenbruch nicht selbst miterlebt, würde er die Schuld dafür üblen Gerüchten zuschreiben. So aber hatte er Ute Mayer gesehen, wie sie Wohlfarth etwas zugeflüstert hatte, das den alten Mann sichtlich beeindruckt hatte. Was könnte das gewesen sein?
Wohlfarth war für die nächste Zeit nicht ansprechbar, sofern er den Herzinfarkt überhaupt überlebte.
Wer könnte noch etwas darüber wissen?
Ute Mayer natürlich. Aber die würde den Mund halten.
Lutz Bender. Der saß noch immer in Haft, und
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