Die Seilschaft
unvermittelt auf.
Kilian rieb sich den Schlaf aus den Augen, suchte nach einem Bleistift und notierte die Nachricht auf einer Zeitung.
Wenn Peter Müller von einem öffentlichen Telefon aus anrief und ihm eine verschlüsselte Nachricht mitteilte, dann hatte die Sache Brisanz. Folglich durfte er ihn nicht mehr darauf ansprechen, geschweige denn zurückrufen.
Es war bereits dunkel, als Kilian vor die Tür trat. Er hatte den Schlaf dringend gebraucht.
Wo steckte Pia? Sollte sie nicht längst zu Hause sein? Er würde heute Abend ein ernstes Wörtchen mit ihr reden. Hochschwanger und noch immer im Dienst.
Doch zuvor galt es, Peter Müllers Geheimbotschaft zu entschlüsseln. Er machte sich auf den Weg in die Valentin-Becker-Straße. Dort gab es einen kleinen, aber feinen Comicladen.
Man musste Peter Müller näher kennen, um die Botschaft dechiffrieren zu können. Er hatte nämlich eine heimliche Leidenschaftfür den
Rächer
– eine kaum bekannte Comicfigur aus den USA. Die Hefte waren in der Originalausgabe nur in ein paar Läden zu bekommen.
Er verlangte nach der Ausgabe Nummer zehn aus dem Jahr 2009.
«Das ist mächtig lange her», sagte der Mann.
«Aber ich bin mir sicher, dass Sie eine Ausgabe im Archiv haben», antwortete Kilian.
«Sie haben’s erfasst.»
Der Mann verschwand im Lager, um wenig später mit der gewünschten Ausgabe vor ihm zu stehen.
«Zwölf achtzig.»
«Stolzer Preis.»
«Stolzer Rächer.»
Kilian reichte ihm das Geld und verzog sich mit dem Heft in eine stille Ecke. Er schlug Seite dreiundzwanzig auf und landete mitten im Kampf des Rächers gegen eine Horde Schurken. Wenn Peter Müller nichts weiter als die Seite angab, dann bedeutete es, dass Kilian den Sinn beziehungsweise den Inhalt der betreffenden Seite erfassen musste, um die Botschaft zu entschlüsseln.
Okay, worum drehte es sich da?
Der Rächer in seinem typischen schwarzen Cape und mit der Kapuze über dem Kopf sah sich vier Gegnern gegenüber. Es handelte sich nicht um irgendwelche Schurken, sondern um Frauen in abenteuerlichen Kostümen.
Auf Seite dreiundzwanzig wurde nicht viel gesprochen, außer
Arghhh! Oomph!
und
Take that.
Folglich musste der Hinweis in der Szene versteckt sein.
Der Kampf fand nachts in einer dunklen Ecke von New York statt.
Frauen, Kampf, New York?
Das ergab keinen Sinn.
Eine Neonschrift wies die dunkle Ecke als Al’s Backyard aus, auf Deutsch: Als Hinterhof.
Frauen, Kampf, Als Hinterhof, New York.
Derselbe Quatsch.
Beim nächsten Mal würde Kilian mit Peter sprechen müssen. Seine kryptischen Rätsel brachten ihn noch um den Verstand.
In my company,
sagte am Ende der Seite eine der Amazonen und meinte, dass sie nicht allein gekommen sei.
In my company
bedeutete aber auch so viel wie:
In meiner Gesellschaft
.
Frauen, Hinterhof, Gesellschaft.
Je länger sich Kilian die Worte durch den Kopf gehen ließ und sie auf den Zusammenhang seiner Frage an Peter überprüfte, desto deutlicher formte sich ein Name heraus.
Fraunhofer-Gesellschaft.
Kilian atmete erleichtert auf. Das könnte passen. Der BND und der Verfassungsschutz arbeiteten im Zuge der Kryptographie mit Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft zusammen.
Der Rest des Rätsels war leicht.
Viel Glück
war kein gutgemeinter Wunsch, sondern wies auf einen Ansprechpartner hin. Glück oder so ähnlich wäre demnach sein Name. Und
Viel
bedeutete, nur ihn anzusprechen, niemand anderen.
Damit war die geheime Botschaft entschlüsselt. Sie besagte im Klartext:
Ute Mayers Handy wurde offiziell nicht abgehört, aber inoffiziell schon. Um mehr herauszufinden, sollte er sich mit einem Herrn oder einer Frau Glück bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Verbindung setzen und nur mit dieser Person sprechen. Peter musste folglich mit ihr oder ihm zuvor gesprochen haben.
Doch die Fraunhofer-Gesellschaft bestand aus vielen Instituten, und die waren über das ganze Land verstreut.
Welches sollte er kontaktieren?
«Haben Sie einen Computer hier, mit dem Sie online gehen können?», fragte Kilian.
«Stehen Bäume im Wald?», lautete die Antwort.
Kilian gab die Begriffe Fraunhofer und Bundesnachrichtendienst ein. Er erhielt einige Treffer, und es zeigte sich, dass die Verbindung der beiden gar nicht so geheim war. Ein Suchergebnis erschien ihm besonders interessant. Es war ein Institut, das besonders für die Auslandsaufklärung der Bundeswehr arbeitete. Und wie es auf jeder gutgepflegten Website üblich war, wurden die einzelnen Abteilungen
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