Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
abzuzählen, wie viele von den Angestellten im Rathaus noch immer fehlten.
«Was zählst du da?», fragte Filippa. «Wie lange es her ist, seit wir zusammen geschlafen haben? Da brauchst du nicht zu zählen, ich sage es dir. Das letzte Mal war vor genau zwei Monaten!»
Und sie seufzte. Dem Bürgermeister kam ein böser Gedanke.
«Erzähl mir nicht, dass du auch schwanger bist!»
«Wieso ich auch? Was willst du damit sagen?»
«Nichts. Bist du schwanger oder nicht?»
«Nein, natürlich nicht! Was ist denn los mit dir?»
Der Bürgermeister antwortete nicht. Er streckte sich im Bett aus, und fünf Minuten später schnarchte er. Signora Filippa aber seufzte noch lange traurig vor sich hin.
FÜNFTES KAPITEL
Die Folgen der Cholera
und andere Geschichten
Dottor Enrico Palumbo war in gewissem Sinn der Arzt der armen Leute so wie Avvocato Teresi ihr Anwalt. Der Unterschied zwischen beiden bestand darin, dass der Arzt nicht aus politischer Überzeugung handelte, sondern einfach nur weil ihm danach war.
Oft ließ er, wenn er einen kranken kleinen Jungen in einer Familie von Hungerleidern besucht hatte, der Mutter Geld da, damit sie die Arzneien kaufen oder einen Teller Pasta aufwärmen konnte. Die Priester hasste er vielleicht noch mehr als Teresi, der einzige Pfarrer im Ort, den er respektierte, war Padre Dalli Cardillo.
Als beleibter Gemütsmensch war er zudem verschwiegen: Nichts von dem, was er erfuhr, sagte er weiter.
Am Tag nach dem Durcheinander wegen der falschen Cholera klopfte er bei Sonnenaufgang an die Tür von Teresi. Der Anwalt öffnete ihm.
«Wie hat er die Nacht verbracht?», fragte der Arzt sofort.
«Er hat deliriert.»
«Fieber?»
«Vierzig.»
«Gehen wir ihn untersuchen!»
Und während sie die Treppe hinaufstiegen:
«Dein Neffe?»
Seit ein paar Jahren duzten sie sich.
«Er ist gerade schlafen gegangen. Wir haben abwechselnd gewacht.»
Sie hatten den jungen Mann in einer Kammer untergebracht, in der mit knapper Not ein Bett, ein Stuhl und ein Nachttisch Platz hatten.
«Möchtest du einen Kaffee?»
«Ja, danke.»
Teresi ging in die Küche, kochte einen Kaffee und brachte ihn dem Dottore. Der trank einen Schluck.
«Wie kommt er dir vor?»
«Der Kaffee?»
«Nein, der Kleine.»
«Ich habe ihn noch nicht gründlich untersucht. Wichtig ist, dass er die Nacht überstanden hat.»
Er gab dem Anwalt die Tasse zurück.
«Ich warte in meinem Arbeitszimmer auf dich», sagte Teresi. «Ruf mich, wenn du etwas brauchst.»
Er setzte sich an seinen Schreibtisch, um über das nachzudenken, was der Junge während des Fieberwahns gesagt hatte. Es war nicht gut zu verstehen gewesen, aus dem Mund, dessen Lippen geschwollen waren wie Melonen und wo drei Zähne fehlten, waren nur Wortfetzen gekommen.
… nein … nein … itte … aufhörn … enug … nein … nein
Das verstand man leider nur allzu gut.
… on flefo … itte … on flefo …
Aber auch diese Worte hatte Teresi gehört und nicht verstanden.
Flefo. Flefo .
Angenommen, es sollte wirklich flefo heißen. Was bedeutete das? Gab es ein Verb, ein Substantiv onflefo ?
Und wenn es Don Flefo war?
Der Dottore kam herein.
«Kennst du jemanden, der Don Flefo heißt?»
«Nein. Was für ein sonderbarer Name. Sag mal, kannst du Injektionen machen?»
«Ja.»
«Gut, dann gib ihm diese in vier Stunden. Ich lasse dir die Spritze und die Medizin da. Es ist besser, wenn ich nicht allzu oft herkomme, das fällt sonst auf.»
«Wie geht es ihm?»
«Besser. Ein kräftiger, gesunder Junge. Er wird sich ganz sicher wieder erholen. Die nächste Spritze gebe ich ihm heute Abend gegen neun.»
Als der Dottore gegangen war, dachte Teresi weiter über die Worte des Jungen nach.
Lassen wir dieses flefo vorerst beiseite. Was hat er noch gesagt?
… nein … nein … zu ariddru … nein … nunschul … nunschul … nein …
Der Anwalt überlegte nicht weiter, was er noch alles gehört hatte. Er nahm Papier und Bleistift. Er musste systematisch vorgehen, das war besser. Sollte es ihn auch den ganzen Tag kosten, er würde etwas herausbekommen. Und das war sicherlich etwas, was ihm helfen würde, diesen Schurken an den Haken zu kriegen, Don Filadelfo, den feinen Marchese!
Moment mal, Mattè, sagte er sich.
Don Filadelfo. Don Flefo . Möglich war das, Don Flefo konnte Don Filadelfo sein.
Als der Bürgermeister um acht Uhr morgens sein Büro im Rathaus betreten wollte, warnte ihn der Amtsdiener:
«Achtung, der Capitano ist da.»
Verdammt, musste ihm
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