Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
klopfte, und fragte mich sofort, ob jemand von der Familie krank sei. Ich habe Ja gesagt, und da muss er auf die Idee mit der Cholera gekommen sein.»
«Und was erzählen wir jetzt diesem Quälgeist, dem Capitano?», fragte der Bürgermeister. «Wenn der die Wahrheit erfährt, gibt es hier einen Aufstand, da ist die Sizilianische Vesper nichts dagegen!»
«Ich habe eine Idee. Für das Wohl der Stadt, und auch weil ich mich für das Missverständnis teilweise mitverantwortlich fühle, bin ich bereit, eine Falschaussage zu machen.»
«Und welche?»
«Dass sowohl die Familie Lo Mascolo als auch die Familie Cammarata von einer schweren Form der Influenza heimgesucht wurden. Daher das Missverständnis von Don Anselmo.»
«Einen Moment. War Marchese Cammarata am Sonntagvormittag nicht im Verein?»
«Er ist zu der Sitzung gegangen, der Ärmste, um den Anschein zu wahren. Ich werde sagen, dass er am Sonntagmorgen bereits krank war, aber unbedingt ausgehen wollte und dass sein Zustand sich nach dem Mittagessen verschlechtert hat. Wie Sie sich denken können, haben weder die Lo Mascolo noch die Cammarata ein Interesse daran, diese Version zu widerlegen.»
«Ausgezeichnet», lobte Calandro, der darauf wartete, dass Bellanca sich erhob.
Doch der Arzt blieb sitzen.
«Gibt es noch etwas?», fragte der Bürgermeister, den dieser entsetzliche Tag zu ermüden begann.
«Ja, allerdings weiß ich nicht, ob es in diesen Rahmen gehört.»
«In welchen?»
«In den meiner amtlichen Funktion.»
«Wenn Sie glauben, dass Sie mit mir darüber sprechen müssen, dann sprechen Sie, wenn nicht …»
«Im Grunde könnte man auch das hier als eine Art Epidemie ansehen», sagte der Dottore, als spräche er zu sich selbst.
«Moment!» Der Bürgermeister sprang auf. «Wenn Sie glauben, dass es eine Epidemie gibt, haben Sie die Pflicht, mich davon zu informieren!»
«Erinnern Sie sich an die Witwe Cannata?»
«Natürlich! Ein Prachtweib! Eine ehrbare und fromme Person. Witwe seit drei Jahren, die Arme.»
«Sie auch.»
«Entschuldigung, Sie auch was?»
Der Dottore machte mit der rechten Hand eine Bewegung, die einen dicken Bauch anzeigte.
«Sie ist schwanger?» Der Bürgermeister war fassungslos. «Das kann ich nicht glauben!»
«Glauben Sie es lieber.»
«Sagen Sie jetzt nicht, dass auch sie seit zwei Monaten …»
«Doch, genau das sage ich! Und damit nicht genug.»
«Nicht?!»
«Nein. Kennen Sie Totina, die Tochter von ’Ngilino, dem Feldhüter von Don Anselmo?»
«Sie auch?»
«Jawohl, leider auch sie, seit zwei Monaten. Und wie die Witwe Cannata will auch sie den Namen des Vaters nicht sagen.»
«Das ergibt also insgesamt vier schwangere Frauen?»
«Ich weiß von diesen vier. Möglich, dass mein Kollege Palumbo noch weitere Namen nennen könnte. Aber er ist nicht dazu verpflichtet.»
Der Bürgermeister schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sprach er.
«Ich glaube nicht, dass man so etwas als eine Epidemie bezeichnen kann. Und selbst angenommen, es wäre eine, wie könnten wir eine Ansteckung verhindern? Schicken wir den Gemeindeausrufer los, damit er den Frauen sagt, sie sollen einen weiten Bogen um alles machen, was einen Schwengel trägt? Trennen wir alle Männer von den Frauen? Das scheint mir nicht möglich.»
«Mir auch nicht. Außerdem habe ich noch nie was von einer Geburtenepidemie gehört», sagte der Dottore.
Um elf Uhr abends zogen einige der Carabinieri von Capitano Montagnet durch die Straßen und verkündeten, dass um Punkt Mitternacht die Ausgangssperre beginne, weshalb jeder, den sie nach Mitternacht ohne Erlaubnis auf der Straße anträfen, dem Standgericht übergeben werde …
«Dieser Capitano ist ja geradezu besessen von seinem Standrecht», dachte der Bürgermeister, der den Ausruf auf dem Nachhauseweg hörte.
… und außerdem seien bis auf weiteren Befehl sämtliche Versammlungen verboten.
Das bedeutete nichts anderes, als dass es keine Gottesdienste, keinen Unterricht in den Schulen und keinen Markt auf der Piazza geben würde. Und auch der Verein würde nicht wieder aufmachen können.
Nach göttlichem Willen endete dann um Mitternacht der Tag, der als der Tag von Don Anselmos Cholera in die Geschichte von Palizzolo eingehen sollte.
Der Bürgermeister legte sich ins Bett neben seine Frau Filippa, die zwar taub, aber eine hübsche kleine Person war. Er streckte sich jedoch nicht aus, sondern verharrte, den Rücken gegen die Kissen gestützt, auf halber Höhe und begann, an den Fingern
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