Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
wieder umzufallen, hingestreckt von einer Kugel des Tenente, dem beim Schießen so leicht keiner das Wasser reichen konnte. Zu Tode erschrocken, rannte Arelio schreiend auf die Höhle zu. Die Carabinieri liefen hinterher. Und dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Während Arelio tödlich getroffen vor dem Eingang der Höhle zu Boden stürzte, kam der Brigant Salamone, den die wiederholte Leibesübung mit den drei Frauen ein wenig benommen gemacht hatte, nackt aus ebenjener Höhle gelaufen. Als er die drei Carabinieri erblickte, erkannte er, dass er verloren war und hob die Hände. Hinter ihm kamen weinend die drei Frauen heraus, ebenfalls nackt, warfen sich den Carabinieri in die Arme und riefen, Gott habe sie ihnen geschickt, um sie von den Greueltaten des Briganten zu erlösen. Der Tenente sorgte dafür, dass die Frauen ihre Kleider wieder anlegten, und ließ sie laufen. So würden sie überall erzählen können, dass Salamone sie wie Königinnen behandelt hatte und ihnen so ehrfürchtig begegnet war wie der Madonna persönlich.
Nach diesem Zwischenfall blieb Tenente Villasevaglios nichts anderes übrig, als nach Palizzolo zurückzukehren, im Gepäck den Briganten Salamone in Unterhosen, die er hatte anziehen müssen, um kein öffentliches Ärgernis zu erregen, und mit Stricken so gut verschnürt, dass er aussah wie eine Salami, die hinter einem Pferd marschiert.
Knapp eine Stunde nach seiner Ankunft in Palizzolo wurde der Brigant Salamone auf Befehl von Capitano Montagnet «dem Standgericht übergeben». Die Leichen der anderen beiden Briganten baumelten an Bäumen in der Umgebung.
Der Erschießung vor der Mauer des alten Klosters wohnte diesmal eine Menge Menschen bei.
Die Uhr schlug zwölfmal zur Mittagszeit, als Stefano aufwachte. Heilige Muttergottes! Er war eingeschlafen und hatte seinen Onkel nicht abgewechselt!
Eilig zog er sich an und ging in die Kammer des Jungen. Sein Onkel war nicht da, doch der Verletzte schlief ruhig. Stefano legte ihm eine Hand auf die Stirn: Das Fieber schien ein wenig gesunken zu sein.
Er ging die Treppe hinunter in das Arbeitszimmer des Onkels. Teresi schlief mit offenem Mund, den Kopf an die Rückenlehne des Sessels gestützt. Auf dem Schreibtisch lagen einige beschriebene Blätter. Stefano wandte sich zur Tür, um hinauszugehen und seinen Onkel schlafen zu lassen, da schlug dieser die Augen auf und rief:
«Stefano, komm her!»
Seine Stimme klang zufrieden.
«Setz dich.»
Er reichte ihm ein Blatt Papier. Stefano las.
… ein … ein … itte … nug … ein … ein … on flefo … itte … on flefo … ein … zu ariddru … ein … binunschul … ein … nunschul … aua … aua … han … olina … nichstan … aua … ein … olina nichstan …
«Ja, und? Das sind die Worte, die der Kleine heute Nacht gesagt hat. Aber man versteht nichts.»
Der Anwalt lachte.
«Habt Ihr herausbekommen, was sie bedeuten, Onkel?»
«Ich glaube, ja.»
Und er reichte dem Neffen ein anderes Blatt.
… nein … nein … bitte … genug … nein … nein … Don Filadelfo … bitte … Don Filadelfo … nein … zù Carmineddru … nein … ich bin unschuldig … nein … ich bin unschuldig … aua … aua … habe … Paolina … nichts getan … aua … nein … Paolina nichts getan …
Stefano wurde blass. Da schlug sich der Anwalt plötzlich mit der flachen Hand kräftig an die Stirn.
«Die Injektion!»
Er nahm Medizin und Spritze und eilte zur Treppe.
«Bis auf den da … wie heißt Ihr?», fragte der Bischof Egilberto Martire den ältesten der acht Pfarrer, die vor ihm aufgereiht strammstanden.
«Mariano Dalli Cardillo, Eure Exzellenz.»
«Wie alt seid ihr?»
«Siebzig.»
«Und jetzt von rechts nach links Vor- und Nachnamen der anderen.»
«Alessio Terranova, 43 Jahre.»
«Eriberto Raccuglia, 40 Jahre.»
«Filiberto Cusa, 39 Jahre.»
«Alighiero Scurria, 41 Jahre.»
«Libertino Samonà, 45 Jahre.»
«Angelo Marrafà, 40 Jahre.»
«Ernesto Pintacuda, 39 Jahre.»
«Bis auf Don Dalli Cardillo seid ihr anderen also alle jung. Zu jung, um das Ausmaß der nicht nur religiösen Verantwortung, die auf dem Rücken eines Gemeindepfarrers lastet, voll und ganz zu begreifen. Das war ein schwerer Fehler meines Vorgängers. Er hätte Vorsorge treffen müssen, dass so etwas nicht passiert. Ich werde versuchen, schnell Abhilfe zu schaffen. Doch kommen wir zum Punkt. Heute Morgen hat mir der Capitano der Carabinieri, Montagnet, der wegen dieses Cholera-Unfugs nach Palizzolo
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