Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
dieser Fanatiker schon wieder auf die Eier gehen?! Mühsam setzte er ein Lächeln auf und trat ein.
«Hochverehrter Capitano!»
«Guten Tag», antwortete dieser trocken.
Er saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch. Der Bürgermeister nahm von seinem Sessel Besitz.
«Eine ruhige Nacht?», fragte er.
«Sehr ruhig», antwortete Montagnet.
Und dann: «Haben Sie veranlasst, dass Don Raccuglia geholt wird?»
«Das mache ich sofort.»
«Nicht mehr nötig.»
Calandro fühlte sich etwas erleichtert. Je weniger Priester in die Sache reingezogen wurden, desto besser.
«Gott sei Da…»
Doch der Capitano fuhr fort: «Ich habe meine Meinung geändert. Ich habe ihn selbst in der Kirche aufgesucht.»
«Wann?!»
«Heute Morgen um sechs. Ich musste warten, bis er die Frühmesse beendet hatte. Ein Dankgottesdienst für die abgewendete Gefahr einer Choleraepidemie. Die Kirche war randvoll.»
Na, besten Dank, Capitano, blöde Arschgeige! Ebenso gut hätte er mit seiner Fanfare den ganzen Ort aufwecken können! Erst sagt er, er will kein böses Gerede, Verdächtigungen und dergleichen, und dann marschiert er in Uniform vor der vollzähligen Gemeinde von Don Raccuglia auf!
«Haben Sie mit ihm gesprochen?»
«Natürlich. In der Sakristei.»
«Was haben Sie ihm gesagt?»
«Dass ich ihn beim Gericht von Camporeale wegen Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung und zum Aufruhr anzeigen werde.»
Na, da konnte man ja dankbar sein, dass er ihn nicht auch gleich «dem Standgericht übergeben» hatte! Sah dieser Capitano die Dinge womöglich genau andersherum?
«Hören Sie, Capitano, so liegen die Dinge eigentlich nicht.»
«Ach, nein? Wie liegen sie denn?», fragte Montagnet lächelnd.
Wollte er jetzt auch noch witzig sein?
«Wenn hier im Ort einer zum Aufruhr hetzt, dann ist das Avvocato Teresi! Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was der sagt und schreibt!»
«Sie irren sich, ich kann. Seine Wochenzeitung kommt auch nach Camporeale, und ich lese sie. Weil ich beruflich dazu verpflichtet bin, versteht sich.»
«Dann wissen Sie doch genau, wer von den beiden der Umstürzler ist. Teresi!»
«Gestatten Sie, dass ich Ihnen entschieden widerspreche. In diesem Fall war es nicht der Anwalt, der den Aufstand angeführt hat, sondern der Priester.»
«Nun haben Sie doch ein wenig Verständnis für Don Raccuglia! Teresi vertritt Ideen, die …»
«… die Don Raccuglia jedenfalls nicht dazu ermächtigen, die Bevölkerung gegen ihn aufzuhetzen.»
«Aber er hat gewagt, auf das Kreuz zu schießen!»
«Er hat in berechtigter Notwehr geschossen. Wenn ich gegen ihn vorgehe, müsste ich auch gegen Don Liborio Spartà, nebst seiner Frau und gegen die Brüder Veronica vorgehen. Wie denken Sie darüber?»
Ein Schlaumeier war er obendrein, der Signor Capitano! Rasch wog der Bürgermeister das Für und Wider einer Erwiderung ab.
«Sie haben richtig gehandelt.»
«Danke. Und was Teresis angeblichen Schuss auf das Kruzifix betrifft, so rate ich Ihnen, nicht auf dieser Version zu bestehen. Erstens, weil der Avvocato in die Luft geschossen hat. Zweitens, weil er, selbst wenn er in die Menge gezielt hätte, auf einen Priester geschossen hätte, der ihm mit einem Kruzifix die Tür einschlagen wollte.»
Der Bürgermeister machte keinen Einwand. Und der Capitano fuhr ungerührt fort.
«Wollen wir jetzt den Namen des Mannes nennen, der das Gerücht von der Cholera in Umlauf gebracht hat?»
Darüber hatte Calandro nach dem Gespräch mit Dottor Bellanca lange nachgedacht.
«Ja», sagte er. «Ich habe gründliche Nachforschungen anstellen lassen, und herausgekommen ist der Name einer überaus schätzenswerten Persönlichkeit, die bei allen Bürgern als außerordentlich ernsthaft und maßvoll gilt. Außerdem …»
«Sprechen Sie von Don Anselmo Buttafava?», unterbrach ihn der Capitano.
Calandro staunte.
«Wie … wie haben Sie das herausgefunden?»
«Wir sind Carabinieri, carissimo. Heute Morgen um fünf habe ich zwei meiner Männer losgeschickt, um ihn zu holen.»
«Wissen Sie denn, wo er sich aufhält?»
«Natürlich. Nach meiner Kenntnis besitzt Signor Buttafava ein Landgut, das San Giusippuzzo heißt. Und ein anderes, La Forcaiola, verwaltet er für seinen Cousin, der momentan im Gefängnis sitzt. Entweder ist er in San Giusippuzzo oder in La Forcaiola, er wird uns nicht entwischen. Ich nehme an, spätestens um elf Uhr werden sie hier sein.»
Don Anselmo von den Carabinieri abgeholt? Legte dieser Irre es wirklich
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