Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
anhand einer Lektüre der Protokolle feststellen können. Verlassen Sie unverzüglich diesen Raum!»
Teresi, der auf die Nachricht von der Verhaftung des Marchese den Capitano stillschweigend zu seinem Mut beglückwünscht hatte, freute sich nun umso mehr, als er sah, dass auch der Untersuchungsrichter Tommasino ein gradliniger, unbeirrbarer Charakter war.
Kaum hatte Sciortino sich entfernt, begann der Richter zu sprechen.
«Ich schicke voraus, dass Sie, wie ich soeben erklärt habe, als Zeuge hier sind. Von Ihrem Neffen Stefano habe ich erfahren, wie sich die Auffindung des jungen Chiarapane abgespielt hat. Ihr Neffe wollte ihn in das nächstgelegene Haus bringen, nämlich den Palazzo Cammarata, doch dem haben Sie sich widersetzt und ihn in Ihr eigenes Haus gebracht. Stimmt das?»
«Das stimmt.»
«Also lautet die Frage: Warum?»
Teresi, der auf diese gefährliche Frage nicht gefasst war, stutzte einen Moment lang.
«Ich verstehe nicht recht», sagte er, um Zeit zu gewinnen.
«Ihr Neffe hat sich in dem Punkt sehr klar ausgedrückt. Er hat uns berichtet, dass Sie auf seinen Vorschlag, den Jungen in den Palazzo Cammarata zu bringen, in etwa erwidert haben, Sie wollten dem Marchese keine Gelegenheit geben, sein Werk zu vollenden. Meine Frage ist ganz einfach: Was ließ Sie, wenn Sie diesen jungen Mann noch nie zuvor gesehen hatten, mithin nichts von ihm wussten, sofort darauf schließen, dass er im Hause Cammarata sogar in Lebensgefahr schweben würde?»
Die Frage war wirklich gefährlich. Wenn Teresi erklärte, dass der Marchese seines Wissens nicht der Mann war, für den man ihn hielt, und wenn herauskam, dass Cammarata im Verein gegen seine Aufnahme gestimmt hatte, konnte der Richter auf die Idee kommen, Teresi sei dem Marchese feindlich gesonnen. Doch da erinnerte sich der Anwalt an das, was ihm damals durch den Kopf gegangen war, als sie den Jungen gefunden hatten.
«Signor Giudice, es war eine bloße Eingebung, die jedoch auf Rückschlüssen aus bestimmten Verhaltensweisen gründete. Stefano hatte mir gesagt, er glaube, der Junge sei ein Neffe der Marchesa, der oft zu Besuch im Palazzo Cammarata weilte. Bedenken Sie, dass seine Angreifer ihn für tot hielten. Darum wurde der Körper in einen Sack gesteckt und ein paar hundert Meter vom Palazzo Cammarata entfernt auf die Straße geworfen. Und das war ein präzises Zeichen, Signor Giudice. Ein Zeichen, wie es typisch für die Mafia ist. Die Leiche wurde in einem Abstand zum Palazzo Cammarata deponiert, der groß genug war, um die Cammarata als Täter auszuschließen, aber nicht ausreichend groß, um nicht doch den Gedanken nahezulegen, dass die Cammarata in irgendeiner Weise involviert waren. Dann fiel mir ein, dass der Marchese gerne und häufig die Dienste des führenden Mafioso von Palizzolo, Carmine Pregadio, genannt zù Carmeniddru, in Anspruch nahm. Das ist alles, glauben Sie mir.»
Nachdem er Teresi entlassen hatte, ließ der Richter Marchese Cammarata rufen. Da es sich um einen Untersuchungshäftling handelte, blieben der Maresciallo und ein Carabiniere rechts und links neben seinem Stuhl stehen.
Der Maresciallo trug einen Verband am Ohr.
«Haben Sie sich verletzt?», fragte der Richter.
«Nein, das war ein Biss des hier Anwesenden.»
«Aha, also auch gewaltsamer Widerstand gegen die Ordnungskräfte.»
«Da scheiß ich drauf», sagte der Marchese, dessen Gesicht mittlerweile eine flaschengrüne Färbung hatte.
«Hören Sie, Marchese, Sie sind des versuchten Mordes angeklagt. Was haben Sie zu sagen?»
«Dass ich es war, und jetzt geht mir nicht länger auf den Sack.»
«Lassen Sie bitte Avvocato Sciortino eintreten», sagte der Richter.
Der Anwalt kam herein.
«Marchese, wären Sie so freundlich zu wiederholen, was Sie eben zu mir gesagt haben?»
«Dass ich es war, der versucht hat, diesen Hurensohn kaltzumachen.»
Avvocato Sciortino blieb der Mund offen stehen.
Eine Stunde später wurde Marchese Filadelfo Cammarata, mit Ketten an den Füßen, «wegen der Gefährlichkeit des Subjekts», in das Gefängnis von Camporeale überführt.
Um drei Uhr nachmittags klopfte Montagnet, in der Hand das Ermächtigungsschreiben, das er sich vom Richter Tommasino hatte geben lassen, an das Tor des Palazzo Lo Mascolo.
«Da ist ein Capitano der Carabinieri, der Euch sprechen will», sagte das Hausmädchen Filippa zum Baron.
Abgesehen davon, dass Don Fofò, wenn es nach ihm gegangen wäre, den Capitano nicht mal mit dem Hintern angeschaut hätte,
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