Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hat das Trauma durch die erlittene Gewalt erst nach der Beichte eingesetzt, oder sie hat auf dem Nachhauseweg eine weitere böse Begegnung gehabt, die ihr Schicksal besiegelte.»
«Tertium non datur?», fragte der Anwalt.
«Ich wüsste nicht, was …»
«Capitano, der Krankenhausarzt hat mir gesagt, dass sich Rosalias Zustand am Abend zuvor gebessert zu haben schien, denn sie sprach wieder. Sie sagte zweimal denselben Satz im Dialekt, den ich Ihnen hiermit übersetze: Die Buße ist wie die Sünde.»
Montagnet blickte ihn erstaunt an.
«Die Buße ist wie die Sünde», wiederholte er mit tiefer Stimme.
Dann verstand er.
Schlagartig verlor er seinen ganzen norditalienischen und militärischen Aplomb. Er sprang vom Stuhl auf.
«Verfluchte Scheiße!», rief er aus.
Er setzte sich wieder, strich sich mit der Hand über die Stirn.
«Ich bitte um Entschuldigung», sagte er ein wenig beschämt, weil ihm ein unanständiges Wort entwischt war. «Sie erlauben.»
Er lockerte seine Krawatte und den Kragenknopf seines Hemdes.
«Das ist noch nicht alles, müssen Sie wissen», fing Teresi wieder an. «Vor kurzem habe ich mit der Mutter eines der unerklärlicherweise schwangeren Mädchen gesprochen.»
«Welches Mädchen?»
«Die Tochter des Feldhüters von Don Anselmo Buttafava. Sie heißt Totina.»
«Davon weiß ich bereits.»
«Totina kommt sonntags vom Land hierher, um die Messe zu hören, manchmal kehrt sie dann in die Kirche zurück und bleibt mit dem Pfarrer allein. Sie sagt, ihr Kind sei durch den Heiligen Geist gezeugt.»
«Ungefähr dieselbe Antwort habe ich auch von den beiden Mädchen erhalten, die ich heute befragt habe», sagte der Capitano. «Eine hat mir erzählt, es sei Gottes Wille, und die andere sagt, die Frucht ihres Leibes sei vom Herrgott gewollt.»
«Nun, Capitano, wollen wir zwei und zwei zusammenzählen? Die schwangeren Mädchen waren allesamt eifrige Besucherinnen ihrer jeweiligen Pfarrkirche. Niemals hatten sie Kontakt zu anderen Männern als den Priestern. Was ist also in der cavagna?»
«Was ist eine cavagna?»
«Ein kleiner Weidenkorb, wie ein Rohr geformt, aber an einem Ende verschlossen. Er dient ausschließlich dazu, ein wenig Ricotta darin aufzubewahren. Nur Mut, Capitano. Was ist in der cavagna?»
«Ricotta», antwortete Montagnet mit zusammengebissenen Zähnen.
«Wir haben uns verstanden», sagte Teresi. «Aber wir haben keine Beweise.»
«Etwas könnte man doch tun, um wenigstens einen Anfang zu machen», sagte der Capitano. «Auch die junge Tochter des Feldhüters ist seit zwei Monaten schwanger, nicht wahr?»
«Ja.»
«Wie die anderen drei.»
«Haben Sie auch die vierte befragt?»
«Nein. Sie ist volljährig, die Sache geht mich nichts an. Und ich werde Ihnen den Namen nicht sagen. Aber wir wissen jetzt genau, welche Frage wir uns stellen müssen: Was geschah vor zwei Monaten in den Kirchen von Palizzolo?»
«Tja, wenn wir das herausbekämen …»
Montagnet hatte eine Idee. Er stand auf und ging hinaus. Fünf Minuten später kehrte er zurück.
«Ich habe mit Maresciallo Sciabbarrà gesprochen.»
«Wird er Nachforschungen anstellen?»
«Häusliche Nachforschungen. Seine Frau ist sehr fromm, sie geht jeden Tag in die Kirche.»
«Capitano, bitte entschuldigen Sie, aber wenn die Signora so fromm ist, könnte sie die falsche Person sein.»
«Das glaube ich nicht. Sie ist fünfzig. Und sie ist … nicht gerade aufreizend.»
«Nehmen wir an, die Signora sagt uns, was passiert ist. Sie war bestimmt nicht dabei. Darum werden wir zwar ein weiteres Element haben, aber noch immer keinen Beweis.»
«Das ist richtig. Ich glaube ohnehin nicht, dass es einfach sein wird, Beweise zu finden.»
«Also sind wir keinen Schritt weitergekommen.»
«Vielleicht könnte man die Schuldigen nervös machen und dann ihren nächsten Zug abwarten. Ist klar, was ich meine?»
«Vollkommen klar. Aber wie machen wir sie nervös?»
Montagnet lächelte.
«Sie sind doch Journalist, oder?»
«Moment. Wenn ich die Dinge beim Namen nenne, ziehe ich mir mindestens acht oder neun Verleumdungsklagen zu.»
«Wer sagt denn, dass Sie die Dinge beim Namen nennen sollen? Hier kommt es ganz auf Ihr Geschick an, Andeutungen zu machen, auf etwas anzuspielen, Vermutungen anzustellen … ihr Journalisten seid doch Meister auf diesem Gebiet. Wir wollen ein Alarmglöckchen zum Klingeln bringen, darum geht es. Mehr nicht.»
Auch das war richtig. In dem Moment klopfte es,
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