Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
gestattet …»
«Wie Sie sich denken können, bitte ich nicht zu meinem persönlichen Vergnügen darum. Ich brauche sie für eine polizeiliche Ermittlung. Und ich glaube nicht, dass der Familienstand ein vertrauliches Dokument ist. Also … Es sei denn, Sie möchten die Ermittlungen behindern, was dann bedeutet, dass …»
«Wann brauchen Sie die Papiere?»
«In einer Stunde.»
Kaum war Montagnet hinausgegangen, stürzte Spartipane ins Büro des Bürgermeisters, der gerade eben angekommen war.
«Der Capitano will die Familienstände von Cammarata und Lo Mascolo!»
«Warum?»
«Was weiß denn ich?»
Hatte Montagnet etwa wieder Lust bekommen, jemanden einzulochen? Vielleicht war es besser, den Baron und den Marchese von dieser Neuigkeit in Kenntnis zu setzen. Er schrieb zwei gleichlautende Botschaften, die sich nur durch den Adressaten unterschieden und gab sie zwei städtischen Garden in die Hand. In einem offenen Umschlag, damit die Garden sie lesen und dem ganzen Ort von diesem neuen Schachzug des Capitano berichten konnten.
Um neun Uhr an diesem Morgen erschien Avvocato Teresi bei Don Anselmo, der ihn sofort in sein Arbeitszimmer geleitete.
«Also, wie ich gestern schon sagte, möchte ich Capitano Montagnet anzeigen, wegen …»
Der Anwalt hob einen Arm, und Don Anselmo verstummte.
«Ich habe die ganze Nacht damit verbracht, nach Präzedenzfällen zu suchen.»
Das war eine dreiste Lüge, aber Teresi hatte nicht die Absicht, sich gegen Montagnet zu stellen. Und mit Don Anselmo wollte er es sich ebenso wenig verderben.
«Was kümmern mich Präzedenzfälle?»
«Sie nicht, aber uns Anwälte durchaus. Und ich muss Ihnen mitteilen, dass ich keine Präzedenzfälle gefunden habe.»
«Ach ja? Wenn einer meine Scheiße klaut, kann ich also nichts machen, weil vorher noch nie jemand Scheiße geklaut hat?»
«Der Vergleich ist nicht gerade treffend, Don Anselmo. Tatsache ist, dass der Capitano im Rahmen der Befugnisse gehandelt hat, die ihm aufgrund des Ausnahmezustands verliehen wurden.»
«Der Ausnahmezustand ist beendet, oder?»
«Er ist beendet.»
«Warum hört dieser Capitano dann nicht auf, uns auf die Eier zu gehen und im Familienstand von allen herumzuspionieren?»
«Von wem allen?»
«Von Barone Lo Mascolo und von Marchese Cammarata, zum Beispiel.»
«Wann hat er danach gefragt?»
«Mir hat man das gerade eben erzählt, bevor ich zu Ihnen kam.»
Was sollte das bedeuten? Der Anwalt würde später darüber nachdenken.
«Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, Don Anselmo. Doch ich glaube, bei der Geschichte mit Totina könnte ich mich Ihnen nützlich erweisen.»
«Wirklich?»
«Ja. Ich müsste mit ihr sprechen.»
«Totina spricht nicht, sie sagt nur, es sei der Heilige Geist gewesen.»
«Mir würden fünf Minuten mit ihrer Mutter genügen.»
Don Anselmo zog seine Uhr aus der Westentasche.
«Sind Sie heute Nachmittag um fünf Uhr frei, Avvocato?»
«Ja.»
«Um fünf Uhr ist Catarina hier.»
Der Grund, warum Montagnet die Familienstände angefordert hatte, fiel Teresi ein, als er gerade im Café Esperia einen Cannolo zum Frühstück aß. Er ließ den halben Cannolo liegen und rannte nach Hause.
Dort saßen Stefano und Luigino plaudernd und lachend zusammen.
«Stefano, weißt du ganz genau, wie alt Antonietta ist?»
«Siebzehn Jahre und sieben Monate.»
«Und wie alt ist Paolina?», fragte er Luigino.
«Sechzehneinhalb. Warum?»
«Weil sie minderjährig sind, darum!»
Dann machte er sich mit der Kutsche in aller Eile nach Camporeale auf, wo er einen Prozess am Gericht hatte.
Und so versäumte er das größte Schauspiel, das je in Palizzolo gesehen wurde.
Um halb elf Uhr vormittags setzten sich zwei Carabinieri und ein Maresciallo, angeführt von Tenente Villasevaglios, der noch länger und dürrer erschien, er hätte den wandelnden Tod abgeben können, an der Polizeistation in Bewegung und schritten auf die Ortsmitte zu. Neugierig geworden, begannen ein paar Müßiggänger, ihnen zu folgen. Als die Carabinieri die zentrale Piazza überquerten, hatte sich die Schar der Neugierigen schon verdoppelt. Und als die Carabinieri in die Via Cammarata einbogen, wurden sie von gut fünfzig Menschen begleitet. Tenente Villasevaglios klopfte an das Eingangstor. Die Carabinieri traten ein. Das Tor schloss sich wieder. Ein paar Zuschauer nutzten die Pause, um noch mehr Einwohner zu holen.
Plötzlich erhob sich im Inneren des Palazzo ein gewaltiger Lärm aus Klagegeheul,
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