Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
werden. Es endete damit, dass beide sich im Mamas Zimmer einschlossen und zwei Stunden lang redeten.»
«Und hinterher hat deine Mutter dir nichts erzählt?», fragte Stefano.
«Kein Wort. Aber vorgestern ist Mama hierher, nach Palizzolo gefahren.»
«Um mit ihrer Cousine zu sprechen?»
«Natürlich. Was hätte sie sonst hier tun sollen?»
«Vielleicht möchte die Marchesa, dass deine Mutter die Anzeige zurückzieht», vermutete Stefano.
Der Anwalt lachte.
«Stefano, ich dachte, du studierst Jura … Weißt du denn nicht, dass zum jetzigen Zeitpunkt niemand mehr etwas gegen den Prozess unternehmen kann? Die Marchesa kann die Familie Chiarapane höchstens bitten, keine Nebenklage zu erheben. Das würde bedeuten, dass ich nicht mehr als Anwalt auftrete. Tja, da kann man dann nichts machen.»
«Du hast uns immer noch nicht gesagt, warum du hergekommen bist», beharrte Stefano.
«Mama hat gesagt, ich soll Tante Ernestina besuchen gehen, weil sie mit mir sprechen will. Sie erwartet mich heute Nachmittag um drei.»
«Pass auf, dass du zù Carmineddru nicht über den Weg läufst!», sagte Stefano.
Sie lachten alle drei.
«Ich würde aber wirklich zu gerne wissen, was sie von dir will», sagte Stefano.
«Dann komme ich so gegen fünf Uhr hierher zurück und erzähle euch alles.»
Doch um fünf Uhr war von Luigino nichts zu sehen.
Als die Prozession aus der Mutterkirche herauskam, sah man sofort, dass dies ein grandioses, erhabenes Schauspiel werden würde.
Angeführt wurde sie von sämtlichen städtischen Garden in Galauniform, dann folgte ein großer, von vier Pfarrern getragener, goldbestickter Baldachin, darunter Seine Exzellenz der Bischof von Camporeale, mit beiden Händen eine goldene Monstranz haltend. Hinter dem Baldachin gingen die anderen vier Pfarrer von Palizzolo.
Gleich danach folgten Barone Lo Mascolo, Barone Roccamena, Barone Piscopo und Marchese Spinotta.
Zwischen dem Adel und dem Gemeinderat gab es einen Freiraum. Und in diesem leeren Raum ging ein einziger Mann, ganz in Barchent gekleidet, mit Stiefeln, die Coppola in der Hand.
Dann folgten der Bürgermeister Calandro mit dem Gemeindevorstand und dem Verwaltungsrat. Dahinter die Notabeln, vollzählig, von Don Stapino über Don Liborio, Don Anselmo, Don Serafino, dem Notar Giallonardo, dem Professor Malatesta bis zu Colonello Petrosillo …
Alle, die Adeligen, die Bürger, die Geschäftsleute, die Gemeinderäte, waren mit der jeweiligen Gattin erschienen.
Die Stadtkapelle trennte diese Gruppe an der Spitze vom Rest, den einfachen Leuten. Insgesamt fast dreitausend Menschen. So etwas hatte man noch nie gesehen.
Alle anderen standen auf Balkonen und Terrassen, die mit den schönsten Decken geschmückt waren, knieten nieder, als die Prozession vorüberzog, und warfen Rosenblüten und Margeriten auf den Baldachin.
Dann näherte sich die Prozession der Straße, in der das Haus von Anwalt Teresi lag. Alle hoben die Augen.
Und sahen, dass der Anwalt auf seinem Balkon stand, einen Hut auf dem Kopf. Wollte er sie provozieren, indem er vor dem Allerheiligsten den Hut aufbehielt? Es gab keinen, der nicht zu dem Balkon hinaufschaute, während die Prozession an Teresis Haus vorbeizog. Aber als der Baldachin direkt unter dem Balkon ankam, zog Matteo Teresi den Hut und machte eine tiefe Verbeugung.
Nicht vor dem Allerheiligsten, nein, sondern vor dem Mann in Barchent, der allein zwischen den Adeligen und dem Gemeinderat ging.
Die Musik der Stadtkapelle übertönend, rief Teresi ihm zu:
«Grüßen Sie zù Carmineddru herzlich von mir, wenn Sie ihn sehen!»
Dann ging er ins Haus und schloss die Balkontür.
«Signori, ich erkläre die Abstimmung über die Aufnahme von Avvocato Teresi in diesen Verein für eröffnet. Es sei noch einmal daran erinnert, dass die schwarze Kugel ein Nein bedeutet, die weiße ein Ja.»
«Ich bitte um das Wort», sagte der Notar Giallonardo sofort.
«Gewährt.»
«Signor Presidente, als Sie uns vor zwei Tagen diese Versammlung ankündigten, ist etwas Ungewöhnliches passiert. Laut Satzung muss die Wahl geheim sein. Vorgestern aber hat es von einigen Mitgliedern explizite Erklärungen zum geplanten Abstimmungsverhalten gegeben. Das hätten Sie sofort verbieten müssen. Aber Sie haben es nicht getan. Meine Frage lautet daher: Sind diese öffentlichen Bekundungen noch immer gültig?»
«Erklären Sie genauer, was Sie meinen, Notaio», sagte der Vorsitzende pikiert.
«Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vorgestern hat der hier
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