Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
und seine Zeitung herauszugeben.
Mafia, Pfarrer und Adel erklärten ihm mit diesen Telegrammen seiner unter Druck gesetzten, bedrohten, erpressten Klienten, dass sie die Absicht hatten, ihn ans Hungertuch zu bringen. Denn die anderen Fälle, die der armen Teufel, der Hungerleider, der von den Grundbesitzern geschundenen Bauern, brachten ihm nicht nur keine einzige Lira ein, oft genug war er gezwungen, ihnen die Formulare, die Stempelmarken und die Bearbeitungsgebühren aus eigener Tasche zu zahlen.
Mit dem Geld, das er auf der Bank hatte, würde er noch zwei oder drei Monate durchhalten können. Und dann?
«Hört mal, Onkel», sagte Stefano, «ich muss Euch etwas sagen, worüber Ihr Euch ärgern werdet, aber ich muss es Euch sagen. Andererseits habt Ihr es selbst vorhergesehen.»
«Sprich.»
«Ich habe Luigino getroffen.»
«Warum ist er neulich nicht zurückgekommen?»
«Das werdet Ihr gleich verstehen. Er hat mir verraten, dass die Familie Chiarapane nicht als Nebenkläger auftreten wird.»
Addio sechster und letzter wichtiger Fall!
«Ist die Marchesa darum nach Salsetto gekommen und hat Luiginos Mutter besucht?»
«Nicht nur darum, Onkel.»
«Gibt es noch mehr Neuigkeiten?»
«Ja. Die Sache ist verwickelter.»
«Nur Mut, rede.»
«Luigino wird zu den Carabinieri gehen und sagen, dass er es war, der Paolina geschwängert hat, womit er Padre Terranova entlastet. Padre Terranova wird schwören, dass er Paolina nie angerührt hat und sich an der Witwe und an Totina, die volljährig ist, nur an dem einen Tag im Kloster vergangen hat. Damit entkommt er der schwersten Anklage, Verführung Minderjähriger. Und dem Marchese wiederum werden beim Prozess wegen des Mordversuchs an Luigino die bei einem Ehrendelikt vorgesehenen mildernden Umstände gewährt, umso mehr, als es gescheitert ist.»
Der Anwalt Teresi war so gelb im Gesicht geworden, dass Stefano fürchtete, er würde gleich zusammenbrechen.
«Ihr solltet ein wenig Wasser trinken, Onkel.»
«Und was passiert mit Luigino?»
«Er heiratet Paolina, und sie überschütten ihn mit Gold. Sie bezahlen die Schulden seines Vaters, die sehr hoch sind, sie geben ihm den Palazzo, den die Cammarata in Salsetto besitzen, und als Mitgift bekommt er das Lehen in Zummìa.»
«Kurzum, alles wieder in schönster Ordnung.»
«Wollt Ihr noch etwas hören?»
«Sag’s mir.»
«Ich habe Barone Lo Mascolo auf der Straße getroffen. Er hat gesagt, dass er mich sprechen will.»
Drei Morgen später brachte der Briefträger ihm einen Umschlag mit dem Absender der Strafkammer von Camporeale. Er öffnete ihn, der Brief war auf den zehnten September datiert und trug die Unterschrift des Präsidenten Gianfilippo Smecca, eines Menschen, der stets bereit war, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen.
Mit diesem Schreiben werden Euer Hochwohlgeboren am 15. des laufenden Monats um 17 Uhr an unseren Sitz in Camporeale, Via Regina Margherita 10, vorgeladen. Der Disziplinarausschuss wird Sie zu der Anzeige wegen Verletzung des anwaltlichen Berufsethos anhören, die von allen in Palizzolo wirkenden Strafverteidigern gegen Sie erstattet wurde.
Die Anzeige bezieht sich auf den Umstand, dass Sie anlässlich des bekannten Vorfalls, der zur Verhaftung von Marchese Filadelfo Cammarata führte, in Ihrer Person mehrere Rollen vereinigten, die Anlass zu der Vermutung geben, dass Sie sich von einer vorgefassten persönlichen Feindseligkeit gegen den oben genannten Marchese leiten ließen.
Sie sind in dieser Reihenfolge aufgetreten als:
Ankläger (als solcher haben Sie bei den Königlichen Carabinieri vorgesprochen);
Zeuge der Anklage (als solcher sind Sie gegenüber dem Ermittlungsrichter aufgetreten);
Anwalt der Nebenklage (als solcher von der Familie Chiarapane mit einem Mandat betraut, das Sie übernahmen, auch wenn es später von o.g. Familie gekündigt wurde).
Wir möchten Sie außerdem davon informieren, dass Signora Albasia Chiarapane uns aus eigenem Antrieb eine Erklärung zukommen ließ, in der behauptet wird, dass Sie, bevor Sie gemeinsam mit der oben genannten Signora bei den Königlichen Carabinieri Anzeige erstatteten, zehntausend Lire in bar von ihr verlangten und erklärten, wenn nicht gezahlt werde, «würden Sie in dieser Sache keinen Finger mehr rühren».
Abschließend weisen wir Sie darauf hin, dass der Disziplinarausschuss berechtigt ist, auch in Abwesenheit der einem Disziplinarverfahren unterworfenen Person vorzugehen.
Hochachtungsvoll
Natürlich verspürte
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