Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
er nicht die geringste Lust, dort zu erscheinen. Was hätte er auch zu seiner Verteidigung sagen können? Die schwerwiegendste Anklage war nicht, dass er in dieser Komödie drei Rollen gespielt hatte, was überdies zutraf, sondern dass er zehntausend Lire kassiert hatte, um den Mordversuch an Luigino anzuzeigen. Eine falsche Anklage, aber wie sollte er beweisen, dass sie falsch war? Mittlerweile war klar, dass sie beschlossen hatten, ihn auf die eine oder andere Weise aus dem Verkehr zu ziehen. Doch ihm blieb noch die Zeitung, und solange er Geld hatte, um sie drucken zu lassen, würden es ihnen nicht gelingen, ihn zum Schweigen zu bringen.
Am Abend des Tages, an dem der Brief der Strafkammer eintraf, hatte er keinen Appetit.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder man suspendierte ihn für einen längeren Zeitraum, oder man schloss ihn aus der Anwaltskammer aus. Letzteres war wahrscheinlicher.
Er würde die armen Teufel, die ihn um Hilfe baten, wegschicken und ihrem hoffnungslosen Schicksal überlassen müssen.
Nicht dass er viele von diesen Prozessen für die Armen gewonnen hätte, das Gesetz war am Ende immer auf Seiten der Reichen gewesen, aber wenigstens hatten sie denen, die niemals etwas zu hoffen gehabt hatten, eine Zeitlang Hoffnung geben können.
Er fühlte sich wie ausgeleert, und er war verwirrt. Denn er war an den offenen Kampf gewöhnt, an die Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht, auch an Beleidigungen, aber nicht an heimtückische, hinterrücks ausgeführte Schläge. Man verbrannte den Boden um ihn herum und benutzte dafür diejenigen, die nicht direkt gegen ihn waren, sich aber nicht weigern konnten, wenn man von ihnen verlangte, Feuer zu legen.
Er ging früh zu Bett, las noch ein bisschen im Don Quijote, den er immer auf dem Nachttisch liegen hatte, und schlief dann allmählich bei brennendem Licht ein.
Das Geräusch der zufallenden Haustür weckte ihn. Er sah auf die Uhr, es war nach Mitternacht.
Wo war Stefano so lange gewesen?
«Stefano.»
«Ich komme, Onkel.»
Als er den Jungen hereinkommen sah, verriet ihm sein Gesichtsausdruck sofort, dass es Neuigkeiten gab.
«Ich bin beim Barone Lo Mascolo gewesen. Er hat mich zum Abendessen eingeladen.»
«Mit der ganzen Familie?»
«Nein, wir waren allein.»
«Was wollte er?»
Stefano setzte sich auf die Bettkante.
«Der Signor Barone hat ein ziemlich böses Gesicht gemacht. Aber immerhin hat er am Schluss gesagt, was ihm im Kopf herumgeht.»
«Und was geht ihm im Kopf herum?»
«Ihr glaubt es nicht, Onkel, er hat mindestens drei Stunden gebraucht, um mir die Sache zu erklären, er kam vom Hölzchen aufs Stöckchen und hat sich in großen Kreisen auf das zubewegt, was er eigentlich sagen wollte.»
«Und was ist der Kern der Sache?»
«Der Kern ist eine Art Kopie von dem, was Marchese Cammarata gemacht hat.»
«Erklär mir das genauer.»
«Was gibt es da zu erklären, Onkel? Versteht Ihr das nicht von allein?» Stefano wurde ein wenig ungeduldig.
«Ich habe schon verstanden, Stefano. Antonietta wird aussagen, dass der erste Mann in ihrem Leben nicht Padre Raccuglia war, sondern du. Von dir ist sie schwanger. Richtig?»
«Richtig.»
«Padre Raccuglia entgeht der Anklage auf Verführung Minderjähriger, wie schon Padre Terranova. Du nimmst Antonietta zur Frau, die das einzige Kind ist, und wirst reich. Richtig?»
«Richtig.»
«Und du hast ihm ins Gesicht geschlagen?»
«Nein.»
«Du hast angefangen zu lachen.»
«Auch nicht.»
«Stefano, das Ganze ist doch eine Schmierenkomödie! Ist dir das klar?»
Stefano stand auf.
«Ja, aber Vossia vergisst etwas.»
«Das wäre?»
«Dass ich Antonietta wirklich liebhabe. Trotzdem habe ich dem Baron gesagt, dass ich das Angebot nicht annehmen kann. Aus Respekt vor Euch, Onkel.»
Am nächsten Morgen brachte der Postbote ihm einen Brief aus Amerika.
Teresi erkannte die Schrift: Es war sein Bruder Agostino, der ihm schrieb.
Agostino, der zwei Jahre älter war als er, hatte eine amerikanische Cousine geheiratet, war nach New York gegangen und hatte eine Menge Geld mit dem Verkauf von Häusern verdient. Er hatte drei Töchter. Die älteste, Carmela, hatte einen Ingenieur geheiratet, der für seinen Vater arbeitete, und zwei Kinder mit ihm bekommen. Gewöhnlich wechselten Teresi und sein Bruder einmal im Monat einen Brief.
Nach den üblichen Nachrichten vom Befinden der Ehefrau, Kinder und Enkel schrieb Agostino:
Stell dir vor, lieber Bruder, neulich hat meine Frau mich etwas
Weitere Kostenlose Bücher