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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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gefragt, worauf ich ihr doch tatsächlich keine Antwort geben konnte. Sie fragte: «Was macht dein Bruder Matteo eigentlich noch immer in Palizzolo? Nach dem Tod eurer Eltern ist er da doch mutterseelenallein, während er hier wieder eine Familie hätte.» Ich wusste nicht, was dazu sagen sollte. Aber ich habe mir überlegt, dass du wahrscheinlich mit einer Gegenfrage geantwortet hättest: «Und was soll ich in New York machen?» Lieber Matteo, für jemanden wie dich gäbe es hier eine Menge zu tun. Es gibt hier bitterarme Auswanderer, die schlechter behandelt werden als unsere Bauern in Palizzolo! Du kannst dir gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen sie sich hier durchschlagen müssen! Außerdem ist da noch etwas anderes. Ich habe eine sehr gute Gelegenheit an der Hand, es handelt sich um eine große Apotheke, die …
    Stimmt, er hatte ja erst in Pharmazie promoviert und dann in Jura. Das hatte er ganz vergessen.
    Der schwerste Schlag, einer von der Art, wo man zu Boden gestreckt wird und nicht wieder aufsteht, kam in Gestalt weniger Zeilen, unterschrieben von Seiner Exzellenz, dem Präfekten von Camporeale.
    Wir teilen Ihnen mit, dass wir dem Antrag des Polizeipräsidenten stattgegeben haben, die Genehmigung zur Veröffentlichung der Wochenzeitung «Der Kampf», gedruckt bei Mazzullo & Söhne, die Ihnen als verantwortlichem Direktor und Herausgeber am 12. Februar 1897 durch das Gericht von Camporeale erteilt wurde, zu widerrufen. Dieser von heute an auf unbestimmte Zeit gültige Widerruf wird damit begründet, dass Sie aufrührerische Manifeste veröffentlicht und diese, zudem ohne amtliche Genehmigung, als Sonderausgaben Ihrer Zeitung ausgegeben haben.
    Zum ersten Mal seit der Wind umgeschlagen war, gewahrte er, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen.
    Er verbrachte den ganzen Tag damit, ziellos im Haus herumzulaufen. Im Hemd, ungekämmt, mit Pantoffeln an den Füßen rannte er von einem Zimmer ins andere, stellte hier ein Buch ins Regal oder verschob eine Lampe, rückte dort ein Bild an der Wand gerade oder staubte die alten Fotografien auf der Anrichte im Wohnzimmer ab. Um halb eins deckte er mechanisch den Tisch für sich und Stefano. Dabei wusste er, dass es nichts zum Kochen gab, weil dies der Tag war, an dem die Zugehfrau nicht kam, und er hatte nicht mal Feuer im Ofen gemacht. Trotzdem saß er am Tisch und starrte auf die leeren Teller.
    Warum kam Stefano nicht? Plötzlich fiel ihm ein, dass sein Neffe ihm gestern Abend gesagt hatte, er würde am nächsten Morgen früh nach Palermo abreisen, um dort eine Prüfung zu machen, und drei Tage fortbleiben. Das war ihm entfallen. Er ging die Treppe hinauf und trat ins Schlafzimmer des Jungen. Das Bett war zerwühlt, im Schrank fehlte ein Anzug, der Koffer war nicht mehr da. Ja, Stefano war zu der Prüfung gefahren.
    Teresi ging in sein Schlafzimmer. Er fühlte sich ein wenig fiebrig, nahm das Thermometer aus der Kommodenschublade, legte sich hin und maß das Fieber. 37,7. Krank fühlte er sich aber nicht, es war nur die Wirkung des erlittenen Schlages.
    Ein großes Gewicht lag auf seinen Lidern. Er schloss sie.
    Als er aufwachte, ging gerade die Sonne unter. Er erhob sich und trat auf den Balkon, er brauchte frische Luft.
    Die Straße, an der sein Haus lag, fiel nach etwa dreißig Metern ins freie Land ab, darum belebte sich die Straße um diese Zeit immer mit den Bauern, die nach Palizzolo gekommen waren, um Obst, Gemüse und Eier zu verkaufen, und jetzt nach Hause zurückkehrten.
    Er kannte sie alle, jeden einzelnen, und jeden Abend gab es ein großes Hallo. Doch an diesem Abend hob niemand die Augen zu seinem Balkon, es war, als stünde er gar nicht dort.
    «Gnaziu!», rief er.
    Gnaziu Pirrera war einer jener armen Teufel, denen er geholfen hatte. Der Vater von fünf Kindern hatte einen Tag zu essen und vier Tage nicht, häufig gab Teresi ihm etwas Geld, damit er den Kleinen zu essen kaufen konnte.
    Gnaziu Pirrera schien ihn nicht zu hören, er ging weiter, die Augen an den Boden geheftet.
    Nach und nach senkte sich die Nacht über den Ort.
    Als tiefe Dunkelheit herrschte, ging er ins Zimmer, holte die Zigarrenkiste und die Schachtel mit Streichhölzern, stellte sich wieder auf den Balkon und zündete die erste Zigarre an, wobei er sich das brennende Streichholz so lange wie möglich vors Gesicht hielt.
    Wenn er auf den Schuss gewartet hatte, der dieses Mal nicht das Streichholz, sondern ihn auslöschte, wurde er enttäuscht. Nichts geschah.
    Die

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