Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
wahrscheinlich in den Ort gegangen, denn es war ja Sonntag.
Don Anselmo stieg aus der Kutsche und ging die Eingangstür seiner Villa öffnen. Während seine Frau eintrat, sagte er zum Kutscher:
«Versuch, ’Ngilino zu finden. Wenn er in der Nähe ist, bring ihn her und lass dir beim Abladen der Koffer helfen.»
Im ersten Stock befand sich das Schlafzimmer der Eheleute. Don Anselmo legte sich angezogen ins Bett, ihm saß die Fahrt noch in den Knochen, und obendrein hatte er sein Mittagsschläfchen nicht halten können.
«Ich ruh mich ein bisschen aus», sagte er zu seiner Frau, die schon geschäftig von einem Zimmer ins andere lief.
Er schlief auf der Stelle ein und schlummerte zwei geschlagene Stunden.
Signora Agata weckte ihn.
«Du musst aufstehen. Girolamu und ’Ngilino bringen die Koffer.»
Don Anselmo verzog sich aufs stille Örtchen.
Als er hinausgegangen war, begann seine Frau, die Kleider aus den Koffern zu holen, und an ihrem Brummen hinter den geschlossenen Lippen erkannte man, dass sie verärgert war. Agata war lieb und gut, aber sie ließ sich gern bedienen. Sie bückte sich nicht einmal, um eine Haarnadel aufzuheben.
«Warum musstest du das jetzt machen? Das hätten doch Catarina und Totina erledigen können, wenn sie aus dem Dorf zurückkommen.»
«’Ngilino sagt, sie sind gar nicht in den Ort gegangen.»
«Wohin sind sie dann gegangen?»
«Nirgendwohin. Hier sind sie, im Haus.»
«Im Haus? Und warum haben sie sich nicht blicken lassen, als wir angekommen sind?»
«Weil sie krank sind.»
«Alle beide?»
«Alle beide.»
«Aber in der Kirche waren sie heute Morgen, oder?»
Auf Bitten von Don Anselmo persönlich hatte der Pfarrer der Kirche der Heiligen Cosmas und Damian, Don Ernesto Pintacuda, beide, Catarina und Totina, in seine Gemeinde aufgenommen, obwohl sie eigentlich in die Kirche zum Gekreuzigten Heiland hätten gehen müssen, die Kirche der Bauern. Don Anselmo hatte nämlich einen Narren an Totina gefressen. Die Kleine war ein entzückender Anblick und von einer ansteckenden Fröhlichkeit. Oft stellte sich Don Anselmo auf den Balkon und verbrachte Stunden damit, dem Mädchen bei der Arbeit im Hof zuzuschauen. Er hatte ihr sogar hinter dem Rücken der Signora Agata Geld gegeben, damit sie sich Kleider kaufen konnte, mit denen sie bei der Messe keinen schlechten Eindruck machte.
«Nein, da waren sie nicht.»
Don Anselmo durchfuhr ein entsetzlicher Gedanke.
«O Gott, o Gott!»
«Was ist los?»
«Verdammt! So eine Scheiße!»
«Sag keine unanständigen Worte! Was ist mit dir?»
«Die Tü… Türen verschlossen! Die Fe… Fenster verriegelt! Wie im Pa… Palazzo Lo Mascolo! Wie im Pa… Palazzo Cammarata! Schnell, tu die Kleider zurück in die Koffer!»
«Sag mal, bist du übergeschnappt?»
«Agata! Die Seu… die Seuche ist sogar schon hier angekommen!»
Er eilte aus dem Zimmer, lief die Treppe hinunter auf den Hof und zu den Ställen, rannte ins Dachgeschoss hinauf und trat mit großem Getöse die Tür zu der Kammer auf, in der der Kutscher übernachtete.
Girolamu, schon in der Unterhose, traf fast der Schlag.
«Was … was ist los, Eccellenza?»
«Spann noch mal die Kutsche an! Wir brechen auf!»
«Wohin, Eccellenza?»
«Zur Forcaiola!»
Girolamu machte große Augen.
«Aber, Eccellenza, das bedeutet allermindestens zweieinhalb Stunden Fahrt! Und es wird bald dunkel!»
«Das ist mir scheißegal. Anspannen! Und dann kommst du und bringst die Koffer hinunter.»
«Kann ich mir von ’Ngilino helfen lassen, Eccellenza?»
«Nein! ’Ngilino wirst du nicht mal aus hundert Metern Entfernung sehen!»
«Darf ich Eccellenza etwas sagen, jetzt, wo die Signora nicht dabei ist?»
«Sprich.»
«Es heißt, dass sich rund um die Forcaiola der Brigant Salamone herumtreibt.»
Das fehlte gerade noch! Traf der Brigant Salamone auf einen Adeligen oder einen Bürger, raubte er ihnen nicht nur ihre gesamte Habe und ließ sie nackt und bloß wie Adam stehen, ihm entkam auch keine einzige Frau. Egal, ob sie nun fünfzig oder fünfzehn Jahre alt waren, er nahm sie sich alle, und das vor den Augen ihrer Ehemänner, Väter und Brüder, die derweil von seinen Komplizen festgehalten wurden. Don Anselmos Frau aber war über sechzig, also bestand für sie keine Gefahr.
Ärgerlich wäre nur, dass Salamone sich gewiss die Kutsche nehmen würde und sie beide, nein, alle drei, denn die Räuber würden nicht mal Girolamu verschonen, mitten in der Nacht nackt irgendwo auf der Straße
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