Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Gewehr.
«Was hab ich getan, habe ich Euch verletzt?»
«Nein.»
«Gott sei Dank! Ich helfe Euch beim Aufstehen.»
Und er reichte ihm die ausgestreckte Hand. Don Anselmo ergriff sie nicht sofort, stattdessen stellte er eine Frage, die Benuzzo erstaunte:
«Alle gesund in der Familie?»
«Alle gesund, Gott sei’s gedankt!»
Erst jetzt ergriff Don Anselmo die Hand des Feldhüters. Wenn sie alle gesund waren, dann bedeutete das zum Glück, dass die Cholera in dieser Gegend noch nicht angekommen war.
DRITTES KAPITEL
Don Anselmos Cholera und
andere Komplikationen
Ungefähr zur selben Zeit, als Don Anselmo in der Forcaiola endlich Schlaf fand, nämlich um vier Uhr morgens, wurde die Tür des Palazzo Lo Mascolo vorsichtig geöffnet, und zum Vorschein kam der Kopf eines Mannes, der nach rechts und links spähte, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war.
Aufatmend schlüpfte der Mann aus der Tür und schloss sie hinter sich.
Er war sorgfältig vermummt, über der linken Schulter trug er einen Barrakan, der sein Gesicht so gut verdeckte, dass man nur ein Auge sah, und die Coppola auf seinem Kopf hatte er sich tief in die Stirn gezogen.
An den Füßen trug der Mann alte, mit Nägeln beschlagene Bauernschuhe. In der rechten Hand hielt er einen Schäferstock.
Auf seinem Weg begegnete er keiner Menschenseele. Doch selbst wenn ihn jemand zufällig gesehen hätte, er hätte in diesem Bauern schwerlich Barone Don Fofò Lo Mascolo erkannt.
Als der Baron vor der Eingangstür zum Haus des Anwalts Teresi angekommen war, einem alleinstehenden Häuschen fast auf dem Gipfel des Hügels, an dem der Ort sich emporzog, weshalb es auf der Hinterseite einen etwa sechzig Meter tiefen Abgrund gab, hob er den Stock und klopfte damit kräftig auf das Holz. Keine Antwort.
Der Anwalt war nicht verheiratet, bei ihm wohnte ein junger Mann, Stefano Pillitteri, zwanzig Jahre alt, der Sohn einer Schwester Teresis, die einen Mafioso geheiratet hatte und jung gestorben war. Der Anwalt hatte den intelligenten Neffen ins Herz geschlossen, er ließ ihn als Kanzleigehilfen für sich arbeiten und bezahlte ihm das Jurastudium an der Universität Palermo.
Erneut ging der Baron zum Angriff über. Mit der rechten Hand ließ er den schweren Türklopfer gegen das Holz krachen, die Linke hieb mit dem Stock auf die Tür ein, der er gleichzeitig gewaltige Tritte mit den genagelten Schuhen versetzte. Bei dem Radau hätte sich sogar die Tür eines Grabes geöffnet. Und tatsächlich schimmerte nun ein schwaches Licht durch die Rollläden eines Fensters im ersten Stock, das Fenster wurde geöffnet, der Anwalt erschien und sprach die übliche Begrüßungsformel:
«Meine Tür steht allen offen. Darum seid Ihr, wer immer Ihr sein mögt, in diesem Haus willkommen. Ich komme, um Euch zu öffnen.»
Fünf Minuten später betrat der Mann das Haus. Teresi erkannte ihn zunächst nicht. Doch als er Barrakan und Coppola abgelegt hatte, staunte der Anwalt.
«Sie, Barone? Warum in solch ungewöhnlicher Montur?»
«Ich will nicht erkannt werden.»
«Warum nicht? Sie haben sich doch sonst nie verkleidet, wenn Sie zu mir gekommen sind?»
«Dieses Mal ja.»
«Kommen Sie in mein Arbeitszimmer.»
Teresi setzte sich hinter den Schreibtisch, der Baron in den Sessel davor.
«Soll ich uns einen Kaffee machen?»
«Nein.»
Stille. Aus Erfahrung wusste der Anwalt, dass es klüger war, sein Gegenüber den ersten Zug machen zu lassen.
«Ist Ihr Neffe da?», fragte der Baron nach einer Weile.
«Stefano? Ja, er schläft in seinem Zimmer.»
«Warum ist er nicht aufgewacht?»
«Keine Ahnung. Vielleicht weil junge Leute einen festen Schlaf haben. Darf ich Sie fragen, warum Sie zu dieser nächtlichen Stunde gekommen sind?»
«Um Ihren Neffen Stefano umzubringen», antwortete Barone Lo Mascolo, während er einen Revolver aus dem Sack holte und ihn auf den Schreibtisch legte. «Gehen wir ihn wecken?»
Signora Agata hatte ihrem alten Hausmädchen Suntina anvertraut, warum sie und ihr Mann so eilig aus Palizzolo flüchteten.
«Mein Mann Anselmo glaubt, dass die Cholera ausgebrochen ist. Aber er will nicht, dass es jemand erfährt.»
Suntina hatte bei der letzten Cholera den Vater, die Mutter, alle vier Großeltern und ihren einzigen Bruder verloren. Sie hatte sich einen Bruder ihres Vaters ins Haus geholt, Tamazio, einen Bauern. Er hatte sie als seine Magd behandelt (was üblich war), hatte sie mit dreizehn Jahren entjungfert (auch das war üblich), hatte aber
Weitere Kostenlose Bücher