Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
überdies verlangt, dass die Kleine ihm jeden Sonntag die Füße wusch. Das war nicht üblich, und Suntina ertrug es nicht. Also war sie ins Städtchen geflohen und hatte an die erstbeste Tür geklopft. Die Tür gehörte zum Palazzo Lobue, wo Galatina und Natale Lobue wohnten, die soeben Eltern einer Tochter Agata geworden waren. Suntina zog das Mädchen groß, und als Agata Don Anselmo heiratete, nahm sie sich Suntina mit.
«Suntì, willst du mit uns kommen?»
«Nein, Signora. Ich bleibe lieber hier und warte, bis die Herrschaften zurückkommen.»
«Aber du hörst doch, es ist gefährlich!»
«Ich weiß, aber wenn ich hierbleibe, kann ich auf Euer Haus aufpassen.»
Das war wiederum eine gute Idee, denn bei der letzten Cholera hatte es Einbrüche und Plündereien gegeben.
«Wie du willst.»
Kaum waren die Herrschaften abgefahren, machte Giseffa, das junge Hausmädchen, die nicht mal zwanzig war, ein solches Theater, dass Suntina ihr den Grund für die überstürzte Abreise der Herrschaften verraten musste.
«Heilige Muttergottes! Die Cholera! Ich geh sofort weg von hier!», rief Giseffa zu Tode erschrocken aus.
«Und wohin?»
«Zu meinem Vater.»
«Aber sein Haus ist doch auch hier im Städtchen! Hör, was ich dir sage: Bleib, das ist besser.»
«Warum ist es besser?»
«Erstens holt sich die Cholera nicht die Reichen, sondern nur die Armen. Wenn wir im Haus von reichen Leuten bleiben, kann es sein, dass die Cholera sich im Vorübergehen irrt und auch unsereins für reich hält. Zweitens weil hier Mehl ist, Käse, gesalzene Sardinen, Tomaten und Wasser, so viel wir wollen. Wir können mindestens drei Monate hier bleiben, ohne aus dem Haus zu gehen. Wir verrammeln die Türen und machen niemandem auf.»
«Nein. Ich will zu meinem Vater.»
«Na gut, dann machen wir es so. Don Anselmo will nicht, dass die Sache mit der Cholera sofort bekannt wird, darum schläfst du heute Nacht noch hier. Morgen früh um sieben stehst du auf und gehst zu deinem Vater.»
«Belieben Sie zu scherzen, Barone?»
«Avvocato, ich warne Sie, wenn Sie mich wütend machen, erschieße ich Sie auch.»
«Schon gut, schon gut. Darf ich denn wenigstens erfahren, warum?»
«Wollen wir erst ein paar Dinge klären?»
«Wenn Sie möchten, gut, klären wir.»
«Wie sind meine Beziehungen zu Ihnen bisher immer gewesen?»
«Gut, würde ich sagen.»
«Ich würde sagen, ausgezeichnet. Nur ein Beispiel. Habe ich nicht meine Klage gegen Barone Mostocotto Ihnen anvertraut statt Avvocato Moschino, der mich unbedingt vertreten wollte?»
Zwischen den beiden Baronen war es zum Prozess gekommen, weil Barone Mostocotto, der an Blasenschwäche litt und andauernd musste, von Don Fofò beim Pinkeln gegen eine Ecke des Palazzo Lo Mascolo ertappt worden war. Der Baron fand das gar nicht lustig.
«Hören Sie», hatte Mostocotto gesagt, um die Sache rasch aus der Welt zu schaffen, «wenn Sie eine Entschädigung wollen, können Sie auf meinen Palazzo pissen, wann immer Sie wollen.»
Obwohl der angesehene Notar Giallonardo einen Schlichtungsversuch gemacht hatte, war die Angelegenheit durchaus nicht beizulegen. Lo Mascolo hatte den anderen Baron wegen Beschädigung seiner Immobilie verklagt.
«Ja, das stimmt», gab Teresi zu.
«Und habe ich Ihnen nicht, ohne Wenn und Aber, den ziemlich großen Vorschuss gezahlt, den Sie forderten?»
«Jawohl, mein Herr.»
«Und als Sie mich baten, Ihren Mitgliedsantrag im Verein zu unterstützen, habe ich ihn unterstützt: ja oder nein?»
«Natürlich haben Sie das.»
«Habe ich Ihrem Neffen Stefano erlaubt, uns in meinem Haus besuchen zu kommen, wann immer er wollte?»
«Ja. Und für diese Großzügigkeit bin ich Ihnen dankbar.»
«Er aber nicht.»
«Wer, bitte schön?»
«Ihr Neffe.»
«Er war Ihnen nicht dankbar?»
«Nein.»
«Und darum wollen Sie ihn erschießen?»
«Reden Sie keinen Unsinn, Avvocato.»
«Warum denn dann?»
«Vor drei Tagen fühlte meine Tochter Antonietta sich unwohl. Das ist ihr in ihren achtzehn Jahren noch nie zuvor passiert. Also rief meine Frau Dottor Bellanca. Seither herrscht in meinem Haus strenge Trauer.»
«Heilige Muttergottes, ist sie so schwer erkrankt?»
«Schwer? Tot ist sie, meine Tochter!»
Der Anwalt sprang von seinem Stuhl auf.
«Gestatten Sie, dass ich Sie umarme, Baron», rief er aufrichtig erschüttert aus. «So ein schreckliches Unglück …»
«Bleiben Sie sitzen, sonst geschieht Ihnen das schreckliche Unglück. Bis zum heutigen Abend wollte meine
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