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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Augen beispielsweise. Und das Fläschchen trug die Aufschrift Freedom , was mir in dem Augenblick wie ein Fingerzeig des Schicksals vorkam. »Ich bin sozusagen schon draußen«, rief ich und schob das dicke, stabil aussehende Glasding in die Hosentasche. Immerhin, eine Dame kann in Situationen kommen, in denen es unverzichtbar ist, ein Duftwasser zur Hand zu haben, nicht wahr? Ich öffnete die Tür. »Schon da.« Armand musterte mich, als habe er damit gerechnet, dass ich ein signalrotes T-Shirt mit der Aufschrift Rufen Sie die Polizei, ich werde entführt überstreifen würde. Dass ich es nicht getan hatte – ich hätte auch nichts dergleichen zur Hand gehabt –, beruhigte ihn offen bar. »Gehen wir«, nickte er und stapfte vor mir die Treppe hinab. Was aus meinem Handy geworden war, darüber verlor er kein Wort. Und so gingen wir. Es war etwa drei viertel sieben, als wir das Haus verließen. Draußen begann es schon, dunkel zu werden; die Straßenlaternen brannten. Ich schloss die Haustüre sorgfältig ab, warf einen letzten Blick auf den Vorgarten, den Rhododendron und die Blumentöpfe in Reih und Glied unter dem Garderobenfenster. Mein Fahrrad, das ich gegen die Wand gelehnt hatte, war umgekippt und lag da wie hingeworfen. Ich musste wieder an Jessica denken und daran, wie sie einmal ihr eigenes Rad lieblos in irgendeinen Busch hatte fallen lassen. Ich hatte ihr damals in vollem Ernst erklärt, dass sie, wenn sie meines jemals so schlampig daliegen sähe, davon ausgehen dürfe, dass mir was Schlimmes zugestoßen sei. Dieser Augenblick war nun ja wohl gekommen. Erstaunlich, dass mein Fahrrad das von selber gemerkt hatte. »Komm endlich«, sagte Armand halblaut. Es klang, als kriegte er langsam schlechte Laune. Also nahm ich meine Umhängetasche und wir gingen. Der Abend war mild, aber das würde nicht so bleiben um diese Jahreszeit. Und nirgendwo war auch nur ein Polizist zu sehen. Eine Weile marschierten wir schweigend nebeneinander her. Ich hatte keine Ahnung, was Armand vorhatte. Während wir unsere Schuhe angezogen hatten – er hatte auch seine wieder aus dem Schrank geholt, teuer aussehende, aber übel zerschundene Lederschuhe –, hatte er sich nach dem Weg zum Bahnhof erkundigt. Daraus schloss ich, dass mich zumindest kein nächtlicher Fußmarsch quer durch die Wälder zu einem der umliegenden Dörfer erwartete. Na ja, und dazu hätte sich Armand schließlich auch nicht zu verkleiden brauchen. »Sag mal«, brach er plötzlich das Schweigen, »gibt es hier eigentlich auch einen Bus, der zum Bahnhof fährt?« »Na ja, schon. Aber bis zur Haltestelle ist es ein ziemliches Stück. Und es ist zu Fuß nicht weit zum Bahnhof, nur die Straße dort vorn hinunter und dann über eine Brücke . . .« »Es geht mir nicht um die Entfernung. Ich laufe schließlich seit Tagen querfeldein«, versetzte Armand ungehalten. »Ich habe mir nur gerade überlegt, dass ich ungern an unzähligen Polizisten vorbei durch die Stadt spazieren möchte. Es scheint mir sicherer, mit dem Bus zu fahren.« »Von mir aus«, sagte ich. »Aber dann müssen wir in die andere Richtung gehen.« »Dann gehen wir eben in die andere Richtung«, erwiderte Armand. Also marschierten wir zur Waldrandsiedlung hinauf, wo die nächste Haltestelle des Stadtbusses lag. Es begegnete uns kaum jemand: Ein älteres Ehepaar, das einen winzigen Hund ausführte und uns argwöhnisch musterte, als fürchteten sie, wir würden ihn versehentlich zertreten; eine Gruppe Männer, die lautstark in einer osteuropäisch klingenden Sprache palaverten und keinerlei Notiz von uns nahmen; ein Motorradfahrer, der an uns vorbeibrauste; ein paar Autos. Einmal drückte mich Armand eilig in eine überwucherte dunkle Hauseinfahrt, als weiter vorne ein Auto um die Ecke bog, das sich im Licht der Straßenlaternen als Polizeifahrzeug entpuppte. Immerhin, sie waren also noch da. Wir standen im Schatten einer drei Meter hohen Immergrün-Hecke und sahen zu, wie der Wagen gemächlich an uns vorbeirollte. Die beiden Beamten darin starrten unübersehbar gelangweilt vor sich hin und der Beifahrer gähnte mit geradezu ansteckender Hingabe. Wir erreichten die Haltestelle nach einer Viertelstunde und ohne dass uns noch einmal jemand in grüner Uniform über den Weg gelaufen wäre. Neben dem Haltestellenschild stand bereits ein Mädchen in meinem Alter, mit bauchfreier und derart tief sitzender Hose, dass man sich fragte, ob es womöglich ein telekinetischer Trick war, der sie auf ihren Hüften

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