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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Wagen versuchen oder einem Flugzeug, aber doch nie im Leben mit dem Stadtbus und der Eisenbahn! Mit anderen Worten, über kurz oder lang würden wir einem Trupp Polizisten in die Arme laufen, groß genug, dass Armand auch seine parapsychologischen Zauberkunststücke nichts mehr nützen würden, und die Sache war vorbei. Ich hatte mich ins Bockshorn jagen lassen, genau. Telekinese? So ein Quatsch. Schließlich, wenn jemand wie David Copperfield im Fernsehen seine Show abzog, kapierte man auch nicht, wie er es machte, und der brachte noch ganz andere Sachen fertig, als zwei Münzen durch die Luft fliegen zu lassen. Lachhaft. Am Bahnhof würde ich einfach aus dem Bus steigen und Armand stehen lassen. Was sollte er mir denn schon tun, vor all den Leuten? Plötzlich bemerkte ich in der spiegelnden Fensterscheibe, dass Armand mich von der Seite musterte. Ich drehte mich um und sah ihn finster an: »Was ist?« Er zuckte zusammen. Erwischt! »Nichts«, versicherte er hastig. »Wieso, was soll sein?« Ich sagte nichts und er guckte woanders hin. Den Rest der Fahrt verbrachten wir vermutlich beide damit, nach Fahrzeugen der Polizei Ausschau zu halten, doch es waren nirgendwo welche zu sehen. Kein Vergleich mit der Szenerie, die sich mir auf meinem Heimweg heute Nachmittag geboten hatte. Heute nachmittag? Ich hatte das Gefühl, dass das hundert Jahre her war.
    Es geschah, als der Bus in die Bahnhofstraße einbog. Die Straße war hell erleuchtet, vor den Schaufenstern und unter den bunten Leuchtreklamen waren viele Leute unterwegs, die die allgegenwärtigen Polizisten befremdet betrachteten. Ich griff nach meiner Umhängetasche und machte mich bereit zum Aussteigen, als Armand plötzlich meinen Arm packte. »Merde!«, zischte er. »Pierre!« Dann ging alles ganz schnell. Ich folgte seinem Blick und da stand er, ein kleiner, rothaariger Junge, zusammen mit drei breitschultrigen Begleitern, vor den Auslagen eines Spielzeuggeschäfts. Er hatte der Straße den Rücken zugekehrt und schien in die Betrachtung einer großen Zeichnung vertieft zu sein, die einen Indianer am Marterpfahl zeigte, aber mit seinen übernatürlichen Sinnen entdeckte er Armand im selben Augenblick wie dieser ihn. Es war wie ein Alptraum. Pierre fuhr herum wie von einem Peitschenhieb getroffen, mit aufgerissenem Mund, als schrie er, und seine glühenden, fiebrigen, furchtbaren Augen suchten die unseren und fanden sie schließlich, und wir waren entdeckt. Doch im nächsten Augenblick riss er die Hände hoch, mit einer flatternden, fahrigen Bewegung; berührte ziellos seinen Hals, seinen Kopf, dann glitt sein irrlichternder Blick davon, und mit einer ungelenken, kraftlosen Drehung des Körpers fiel er zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden durchschnitten worden waren.
    Sofort herrschte große Aufregung. Seine Leibwächter beugten sich über ihn, einer riss ein graues Ledermäppchen aus der Tasche, ein anderer hatte auf einmal ein Funksprechgerät in der Hand. Passanten traten neugierig dazu, Polizisten kamen herbeigeeilt, und auch die Leute im Bus reckten die Hälse und standen auf, um zu sehen, was da los war. Ich sah Armand an, der ausdruckslos vor sich hin starrte. »Es war ein Duell, das hast du doch gesehen«, murmelte er, als er mein Entsetzen bemerkte. »Keine Angst, er lebt noch. Sie werden vermuten, dass er einen seiner Anfälle hat.« Ich wusste nichts zu erwidern. Der Bus hielt vor dem Bahnhofsgebäude, wir nahmen unsere Taschen und standen auf, um möglichst als Erste auszusteigen. Aber ich musste mich an einem Griff festhalten, sonst wäre ich hingefallen, so weich waren meine Knie plötzlich.

Kapitel 5 |
    Mitten in der Bahnhofshalle, unübersehbar, standen zwei Polizisten. Beide trugen schwarze Lederjacken, hatten Funkgeräte griffbereit auf der Brust, Handschellen im Gürtel, die Pistolentasche aufgeknöpft, und ließen die Blicke suchend schweifen. Armand atmete neben mir vernehmlich ein. »Ganz ruhig«, raunte er. »Wenn wir so tun, als sei alles normal, werden sie uns nicht bemerken.« Ich schluckte. Vorhin, im Bus – vor dem Vorfall mit dem rothaarigen Jungen – war ich noch wild entschlossen gewesen, auf den nächsten Polizeibeamten zuzumarschieren, der mir vor die Augen kam, auf Armand zu zeigen und zu schreien: »Das ist der, den Sie suchen! Verhaften Sie ihn!« Aber dann war das mit Pierre passiert. Jetzt konnte ich wie besessen nur noch daran denken, wie die Nachttischlampe meiner Mutter zerplatzt war. Und wie Armand gesagt hatte:

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