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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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ich. Armand widmete sich wieder dem Spiegel, machte an seinem Haar herum. »Eine Perücke wäre nicht schlecht«, setzte er sein halbes Selbstgespräch fort. »Ich könnte hinten ein bisschen abschneiden, damit sie drüberpasst . . . Ich habe gesehen, dass deine Mutter einige Perücken hat. Die mit den kleinen blonden Locken würde nicht zu auffällig aussehen, glaube ich. Passen die eigentlich für jede Kopfgröße? Ich habe keine Ahnung von so was.« Ich schnappte nach Luft. »Bist du wahnsinnig? Das ist das Meisterstück meiner Mutter!« »Meisterstück? Was bedeutet das?« »Sie war Perückenmacherin, ehe sie meinen Vater kennen gelernt hat. Hat am Theater gearbeitet, für den Film und so weiter. Die blonde Perücke ist ihre Abschlussarbeit. Sie zerreißt mich in der Luft, wenn ich dir die gebe.« Armand blieb unbeeindruckt. »Du brauchst sie mir nicht zu geben.« Er fasste sein Haar mit einer Hand im Nacken zu einem Zopf zusammen, drehte den Kopf nach rechts und links und begutachtete sich im Spiegel. »Ich werde sie mir einfach nehmen.« »Das rettet mich auch nicht.« Armand sah auf die Uhr. »Wie auch immer, es geht weiter. Und wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Am besten packen wir erst einmal zwei Reisetaschen mit dem Nötigsten, dann ziehe ich mich um und probiere die Perücke . . .« Mir lief es heiß den Rücken hinunter. »Zwei Reisetaschen?«, wiederholte ich voll böser Vorahnungen. »Ist das nicht ein bisschen viel Gepäck?« »Wieso? Eine für dich, eine für mich. Das ist doch nicht viel.« »Eine für mich?« Er sah mich erstaunt an. »Ich dachte, das versteht sich von selbst«, meinte er. »Du wirst natürlich mit mir gehen.«

Kapitel 4 |
    Er ließ mich schimpfen, argumentieren, schreien, zetern und flehen, bis ich keine Luft mehr bekam, und das alles beeindruckte ihn nicht im Geringsten. »Ich kann dich unmöglich hier zurücklassen«, erklärte er mir dann. »Du würdest mich verraten, und du weißt zu viel.« »Ich schweige wie ein Grab!«, versprach ich hastig, und in dem Augenblick war das ein ernst gemeintes Versprechen. »Von mir erfährt niemand ein Sterbenswörtchen.« »Unsinn. Pierre kommt in die Stadt, ist womöglich schon da, und Pierre kann in deinen Gedanken lesen wie in einem Buch. Er würde da draußen auf der Straße stehen bleiben, zehn Sekunden in dich hineinhorchen und danach jedes einzelne Wort kennen, das wir heute Abend gesprochen haben. Das ist mir zu riskant.« Ich holte tief Luft. »Du warst allein unterwegs und sie haben dich beinahe eingeholt«, gab ich zu bedenken. »Wenn du dich jetzt noch mit einer widerspenstigen Geisel belastest, hast du gar keine Chance mehr.« Armand schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf. »Im Gegenteil. Die Polizei sucht nach einem schwarzhaa rigen Jungen, der allein unterwegs ist. Wenn ich jetzt blond bin und in Begleitung, wird man mich einfach übersehen. Klar?« Ja. Es war alles klar. Man kann sich nicht ernsthaft einem Menschen widersetzen, in dessen Macht es liegt, einem das Herz im Leib stillstehen zu lassen. Das mit den Reisetaschen stellte sich zunächst als Problem dar. Da meine Eltern verreist waren und Mutter es bei solchen Gelegenheiten nie versäumt, mindestens ihre halbe Garderobe mitzunehmen, herrschte akuter Mangel an Taschen und Koffern jeder Art. Doch Armand schien sich ausnehmend gut umgesehen zu haben im Hause Behnert, denn er fand doch noch zwei passabel große Umhängetaschen. Als klar war, dass es daran jedenfalls nicht mehr scheitern würde, durchwühlte ich die Sachen meines Vaters und förderte schließlich ein altes graues Werbe-T-Shirt seiner Firma zu Tage, das Vater ohnehin zu klein gewesen wäre, außerdem ein grauenhaft rostbraun-orange kariertes Flanellhemd, das beim Waschen etwas eingegangen war und Armand deshalb passte. Außerdem überließ ich ihm noch eine dunkelgrüne Windjacke von mir, die mir seit jeher zu groß gewesen war. Er zog alles an und sah schon gänzlich verändert aus. Was packt man ein als Geisel? Darüber lernt man auch nichts in der Schule. Ich suchte zusammen, was man auf normalen Reisen so braucht – Shampoo, Seife, Zahnpasta, meine Zahnbürste . . . »Mir auch eine, bitte«, meinte Armand, der sich unterdessen über der Badewanne selber die Haare schnitt. Also holte ich noch eine nagelneue aus dem Schrank und tat sie auch dazu. Dabei fiel mein Blick auf ein kleines Erste-Hilfe-Päckchen, ein Plastikbeutel mit Binden und Pflastern und so weiter und dem Namensaufdruck von Vaters

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