Die seltsame Welt des Mr. Jones
verstummte. »Du siehst die Rekonstruktionsmannschaften, du weißt, daß wir von Glück sagen können, wenn wir je den Wiederaufbau schaffen.«
»Aber Geheimpolizei – das kommt einem so skrupellos und - na ja, und zynisch vor.«
Er nickte.
»Der Relativismus ist ja wohl zynisch. Idealistisch ist er bestimmt nicht. Er ist das Ergebnis des Tötens und Verwundens, des Armwerdens und für leere Worte hart Arbeitens. Er ist das Resultat von Generationen, die Schlagworte brüllten, mit Spaten und Gewehren marschierten, vaterländische Lieder sangen und vor Flaggen salutierten.«
»Aber ihr steckt sie ins Gefängnis. Diese Leute, die nicht mit euch einig sind, ihr laßt sie nicht anderer Meinung sein, wie diesen Prediger Jones.«
»Jones kann anderer Meinung sein als wir. Jones darf glauben, was ihm paßt; er darf glauben, daß die Erde eine Scheibe ist, daß sich Gott in einer Zwiebel verkörpert, daß kleine Kinder in Zelophantüten auf die Welt kommen. Er kann jede Meinung vertreten, die ihm gefällt, aber sobald er sie als absolute Wahrheit verkauft – «
»Steckt ihr ihn ins Gefängnis«, sagte Nina gepreßt.
»Nein«, widersprach Cussick. »Dann strecken wir die Hand aus. Wir sagen ganz einfach: Beweise, oder den Mund halten. Beweise, was du behauptest. Wenn du behaupten willst, die Rothaarigen seien an allem schuld – beweise es. Du darfst es sagen – wenn du es beweisen kannst. Sonst ab mit dir ins Arbeitslager.«
»Es ist – « Sie lächelte ein bißchen. »Es geht rauh zu.«
»Allerdings.«
»Wenn du mich Zyankali mit dem Strohhalm trinken siehst, kannst du mich nicht abhalten«, meinte Nina. »Es steht mir frei, mich zu vergiften.«
»Ich kann dir sagen, daß Zyankali in der Flasche ist, nicht Limonade.«
»Aber wenn ich das weiß?«
»Guter Gott«, sagte Cussick, »dann ist es deine Sache. Du kannst darin baden; du kannst es dir rahmen lassen und es tragen. Du bist erwachsen.«
»Du – « Ihre Lippen zitterten. »Dir ist egal, was mit mir geschieht. Dir ist es gleich, ob ich Gift nehme oder sonst etwas tue.«
Cussick schaute auf die Armbanduhr; das Flugschiff befand sich schon über Nordamerika. Der Flug war praktisch vorbei.
»Es ist mir nicht gleichgültig. Deshalb mache ich ja mit. Ihr liegt mir am Herzen, du und der Rest der leidenden Menschheit.« Brütend fügt er hinzu: »Nicht, daß es darauf ankäme. Wir haben Jones geschnappt, aber diesesmal dürften wir übertrumpft werden.«
»Wieso?«
»Im Augenblick sagen wir zu Jones: Deck die Karten auf, zeig uns die Beweise. Und ich fürchte, der Kerl wird sie uns liefern.«
Jones hatte sich in vielerlei Beziehung verändert. Cussick blieb wortlos an der Tür stehen, beachtete kaum die Gruppe uniformierter Polizisten und studierte den Mann, der auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes saß.
Vor dem Gebäude hörte man eine Einheit von Polizeipanzern vorbeifahren, gefolgt von einem Regiment von Waffengruppen. Es war, als habe Jones’ Gegenwart eine Kette unruhiger Reaktionen ausgelöst. Der Mann selbst zeigte jedoch keine Aufmerksamkeit; er saß mit angespanntem Körper da, rauchte und starrte finster zu Boden. Er saß fast genauso da, wie ihn Cussick damals auf dem Podium gesehen hatte.
Aber er war älter geworden. Die sieben Monate hatten ihn verändert, auch ihn. Die Bartumrahmung war dichter geworden, schwarz und wuchernd, was seinem Gesicht etwas Asketisches, Vergeistigtes gab. Seine Augen funkelten fiebrig. Immer wieder faltete er die Hände, befeuchtete die trockenen Lippen, warf nervöse, wachsame Blicke durch das Zimmer. Cussick kam der Gedanke, daß er, wenn er wirklich ein Hellseher war, wirklich ein Jahr vorausblicken konnte, dies alles schon zu dem Zeitpunkt voraus gewußt hatte, als Cussick mit ihm zusammengetroffen war.
Plötzlich bemerkte ihn Jones und sah auf. Ihre Blicke begegneten sich. Cussick begann zu schwitzen. Er begriff fröstelnd, daß Jones, als er an jenem Tag mit ihm gesprochen und seine zwanzig Dollar angenommen hatte, das schon gesehen hatte, gewußt hatte, daß Cussick über ihn Meldung erstatten würde.
Das bedeutete offensichtlich, daß Jones freiwillig hier war.
Durch eine Seitentür erschien Direktor Pearson mit einem Bündel Unterlagen in der Hand. Er schritt auf Cussick zu. Stiefel und Helm glänzten. In voller Uniform war er sehr eindrucksvoll.
»Wir sitzen fest«, sagte er ohne Vorrede. »Wir saßen auf unserem Hintern und warteten ab, ob sich sein übriges
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