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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Mitternacht?«
    Er schaute auf die Armbanduhr.
    »Knapp vorbei.«
    Nina zog die Brauen zusammen und drängte zum Ausgang. Taxis hielten, nahmen Fahrgäste auf und fuhren wieder davon.
     »Glaubst du, daß wir ihn verpaßt haben? Er wartet doch, oder? Ich dachte, ich hätte ihn gesehen, vor einer Sekunde, als ich herauskam.«
     »Trifft er sich nicht in der Wohnung mit uns?« Er konnte sich Kaminski in einer Mozartoper einfach nicht vorstellen; der rundliche Mann mit dem Schnauzbart stammte aus einem ganz anderen Jahrhundert.
     »Nein, Lieber«, sagte Nina geduldig. »Er trifft sich hier mit uns – erinnerst du dich? Du hast, wie üblich, an etwas anderes gedacht. Wir sollen auf ihn warten, er weiß ja nicht, wo wir wohnen.«
     Die Menge begann von der Eingangshalle ins Freie zu strömen. Kalte Nachtluft kam herein. Man schlüpfte in die Mäntel, legte Pelze um.
     »Unser kleiner Kosmos zerbricht«, sagte Cussick düster. »Die wahre Welt ist auf dem Weg.«
     »Was ist das?« fragte Nina zerstreut, immer noch den Blick auf die Frauen um sie herum gerichtet. »Schau, was das Mädchen da trägt. Dort drüben, in Blau.«
     Während Cussick so tat, als interessiere er sich dafür, kämpfte sich eine vertraute Gestalt zu ihnen durch.
     »Hallo«, sagte Kaminski, als er vor ihnen stand. »Entschuldigt die Verspätung. Ich hatte die Verabredung ganz vergessen.«
     Der Anblick Max Kaminskis war wie ein Schock. Cussick hatte seinen früheren Politik-Ausbilder Monate nicht mehr gesehen. Kaminski war eingefallen und gebeugt; er hatte blutunterlaufene Augen, unter denen sich tiefe Schatten befanden. Seine Finger zitterten, als er die Hand ausstreckte. Unter einen Arm hatte er ein großes Paket geklemmt. ‹Er nickte Nina zu und murmelte: »Guten Abend, Nina. Schön, Sie wiederzusehen.«
    »Sie sind nicht in der Oper gewesen«, sagte Nina mit einem mißbilligenden Blick auf den zerknitterten Anzug Kaminskis und das schlecht verpackte Paket.
     »Nein, ich habe sie verpaßt«, erwiderte er. Seine Hand war feucht und kalt; er zog sie zurück und stand verlegen vor ihnen. »Ich kann nicht so lange sitzen. Also, können wir gehen?«
     »Gewiß«, sagte Nina mit eisiger Stimme. Ihre Betroffenheit verwandelte sich schnell in klare Abneigung. Kaminski hatte offensichtlich eine Fünfzehn-Stunden-Schicht hinter sich. Müdigkeit und nervöse Erschöpfung sprachen aus jedem Teil seines gebückten Körpers. »Was haben Sie denn da?« fragte sie und wies auf das Paket.
     »Das zeige ich Ihnen später«, versicherte Kaminski und umklammerte das Päckchen fester.
     »Also, gehen wir«, sagte Nina und nahm den Arm ihres Mannes. »Wohin?«
     »Dieses Mädchen«, murmelte Kaminski und trottete hinterher. »Wir müssen sie abholen. Ihr kennt sie nicht – ich habe vergessen, euch von ihr zu erzählen. Sehr nettes Ding. Dann haben wir wenigstens ein Viereck, kein Dreieck mehr.« Er versuchte zu lachen, aber es klang eher wie ein Röcheln. »Vorstellen kann ich sie euch nicht – ich kenne ihren Familiennamen nicht. Ich habe sie in einem der Büros kennengelernt.«
     Nach einer Pause sagte Nina: »Ich möchte zuerst in die Wohnung. Ich will sehen, wie es Jackie geht.«
     »Jackie?« Kaminski eilte verwirrt die Betonstufen hinunter. »Wer ist das?«
    »Unser Sohn«, sagte Nina leise.
     »Richtig«, bestätigte Kaminski. »Ihr habt ja ein Kind. Ich habe den Jungen nie gesehen.« Seine Stimme erstarb… »Bei der vielen Arbeit weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
     »Im Augenblick sitzt er oben«, sagte Nina knapp. Sie hatte die Arme verschränkt und wartete starr auf ein Taxi. »Sind Sie sicher, daß Sie das noch schaffen? Sie scheinen schon gehörig gefeiert zu haben.«
    »Hör auf«, sagte Cussick scharf.
     Das Taxi kam, und Nina stieg hastig ein. Die beiden Männer folgten ihr, und das Taxi schoß in den Himmel hinauf. Unter ihnen glitzerten die Lichter Detroits wie gleichmäßig verteilte Sterne an einem Firmament. Frische Nachtluft wirbelte in die Taxikabine, ein rauher, aber belebender Wind, der einen klaren Kopf machte. Kaminski schien sich nach einiger Zeit erholt zu haben.
     »Ihr Mann und ich sind in letzter Zeit nicht sehr erfolgreich gewesen«, sagte er zu Nina, das war als verspätete Entschuldigung gedacht. »Das wird Ihnen aufgefallen sein.«
    Nina nickte.
     »Wir zerfallen. Die Belastung…« Er schnitt eine Grimasse. »Es ist nicht leicht, alles, wofür man steht, Stück für Stück auseinanderfallen sehen

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