Die seltsame Welt des Mr. Jones
fallen wir.«
»Sie hat den Polizeidienst nie gemocht«, sagte Cussick leise. Er hörte Nina in der Küche herumgehen, die Babynahrung herrichten, ins Schlafzimmer gehen und beruhigend auf das Kind einsprechen. »Sie kommt von einem Informationszentrum. Der Relativismus hat sich in den Nachrichtenmedien nie so ganz durchgesetzt. Die Leute hängen immer noch an den alten Schlagworten. ›Das Gute‹, ›Die Wahrheit‹ und ›Das Schöne‹. Die Polizei ist gewiß nicht schön – und sie fragt sich, ob sie gut ist.« Ironisch fuhr er fort: »Die Notwendigkeit der Geheimpolizei zuzugeben hieße schließlich, das Vorhandensein fanatischer absolutistischer Kulte anzuerkennen.«
»Aber von Jones hat sie doch gehört.«
»Manchmal glaube ich, daß Frauen völlig passive Empfänger sind, wie Streifen von Lackmuspapier.«
»Manche Frauen.« Kaminski schüttelte den Kopf. »Nicht alle.«
»Was die Öffentlichkeit von Jones glaubt, denkt sie auch. Ich brauche nur mit ihr zu sprechen, um zu erfahren, was die Menschen denken. Sie scheint das intuitiv zu erfassen, durch eine Art psychischer Osmose.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Eines Tages stahl sie in einem kleinen Geschäft ein paar Gläser. Zunächst begriff ich das nicht, aber später wurde es mir klar. Allerdings mußte das noch zweimal vorkommen, bis ich mich auskannte.«
»Ah«, sagte Kaminski. »Ja, natürlich. Sie sind Polizist. Sie nimmt Ihnen das übel. Also verstößt sie gegen das Gesetz – sie behauptet sich gegen die Polizei. Begreift sie das?«
»Nicht direkt. Sie weiß, daß sie mir gegenüber moralische Empörung empfindet. Ich möchte gern glauben, daß das nicht mehr als überholter Schlagwort-Idealismus ist. Vielleicht ist es aber auch mehr. Nina ist ehrgeizig. Sie stammt aus einer guten Familie. Gesellschaftlich möchte sie in den Logen sitzen, nicht im Parkett. Mit einem Polizisten verheiratet zu sein, war gesellschaftlich noch nie nützlich. Ein Makel bleibt. Darüber kommt sie nicht hinweg.«
»Das sagen Sie so«, meinte Kaminski nachdenklich. »Ich weiß aber, daß Sie sie sehr lieben.«
»Tja, ich hoffe, ich kann sie behalten.«
»Würden Sie den Sicherheitsdienst verlassen, um sie zu behalten? Wenn Sie die Wahl treffen müßten?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich hoffe, daß ich nie vor diese Wahl gestellt werde. Wahrscheinlich hängt es davon ab, was aus der Sache mit Jones wird. Und das weiß niemand – außer Jones.«
Nina erschien unter der Tür.
»Jetzt ist er ruhig. Wir können gehen.«
Cussick stand auf und fragte: »Hast du denn überhaupt Lust?«
»Gewiß«, sagte Nina mit Nachdruck. »Hier sitze ich jedenfalls nicht herum, das kann ich dir sagen.«
Während sie ihre Sachen zusammensuchte, fragte Kaminski zögernd: »Nina, dürfte ich Jackie sehen, bevor wir gehen?«
Nina lächelte; ihr Gesicht wurde weich.
»Sicher, Max. Kommen Sie mit ins Schlafzimmer.« Sie legte ihre Sachen weg. »Aber machen Sie keinen Lärm.«
Kaminski griff nach seinem Paket, und die beiden Männer folgten ihr gehorsam. Das Schlafzimmer war dunkel und warm. Das Baby schlief in seiner Korbwiege, eine Hand am Mund, die Beine angezogen. Kaminski blieb eine Weile regungslos stehen. Man hörte nur das leise Atmen des Kindes und das ständige Klicken des Wachroboters.
»Er hatte gar keinen richtigen Hunger«, sagte Nina. »Er hat ihn gefüttert.« Sie deutete auf den Roboter. »Er hat mich vermißt.«
Kaminski streckte die Hände nach dem Kind aus, zog sie wieder zurück.
»Er sieht gesund aus«, sagte er verlegen. »Sieht Ihnen sehr ähnlich, Doug. Er hat Ihre Stirn, aber Ninas Haar.«
»Ja«, bestätigte Cussick. »Er wird schöne Haare bekommen.«
»Welche Augenfarbe?«
»Blau. Wie Nina. Das vollkommene Menschenwesen: mein mächtiger Verstand und ihre Schönheit.« Er legte den Arm um seine Frau und preßte sie an sich.
Kaminski kaute an seiner Unterlippe und sagte halblaut: »Ich möchte wissen, wie die Welt aussieht, wenn er groß wird. Ich frage mich, ob er mit Armbinde und Waffe durch Ruinen läuft – und Schlagworte brüllt.«
Nina drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus. Als sie ihr folgten, stand sie im Mantel an der Wohnzimmertür. Mit fahrigen Bewegungen zog sie ihre Handschuhe an.
»Fertig?« fragte sie scharf. Sie stieß die Eingangstür auf. »Dann wollen wir. Wir holen dieses Mädchen von Max ab und machen uns auf den Weg.«
IX
Das Mädchen wartete brav am Gebäude des
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