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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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ergriff der rothaarige Mann den Benzinkanister und stieg die Leiter hinauf. Das Metall war feucht. Keuchend stieg er weiter, vorbei am ersten Stockwerk des Lagerhauses, vorbei an den gähnenden Öffnungen, die einmal Fenster gewesen waren. Er konnte undeutliche Umrisse wahrnehmen; überholte rostige Kriegsmaschinerie. Er hatte das Dach fast erreicht, blieb einen Augenblick stehen, schöpfte Atem und prüfte die Lage.
     Der Dachrand war sichtbar. Der leicht stechende Geruch des »Drifters« drang in seine Nase, der Geruch nach vertrocknendem Fleisch, den er so gut kennengelernt hatte. Er konnte ihn beinahe sehen. Mit größter Vorsicht stieg er noch eine Sprosse hinauf; jetzt war er deutlich sichtbar.
     Der »Drifter« war der größte, den er je gesehen hatte. Er lag auf dem Lagerhausdach, in dicke Schichten gefaltet. Ein Rand hing schlaff an der Seite herunter – wenn er wollte, konnte er die Hand ausstrecken und ihn berühren. Aber er wollte nicht. Verängstigt wich er unwillkürlich zurück. Er haßte es, sie auch nur anzusehen, aber er mußte. Manchmal mußte er sie berühren, und einmal, dieses schreckliche eine Mal, war er ausgerutscht und in einen hineingefallen, halb begraben von dem bebenden Protoplasma.
    »Wie sieht es aus?« schrie ein Mann hinauf.
    »Gut.« »Ist er groß?«
    »Sehr groß.« Der rothaarige Mann richtete sich auf. Der ›Drifter‹ wirkte alt und auffällig gelb, seine Flüssigkeit war undurchsichtig und verfärbte den Asphaltboden darunter. Er war natürlich ziemlich dünn; jede Schicht war nur zentimeterdick. Er war fremdartig. Eine fremde, unbekannte Lebensform, die vom Himmel auf das Dach dieses Lagerhauses herabgefallen war. Er spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Er bückte sich und drehte am Verschluß des Benzinkanisters.
     Das Benzin war auf dem Dach verschüttet und das Zündholz schon entflammt, als das erste Polizeischiff, vorbei an dem langsamen Spähflugzeug, direkt auf das Dach hinunter, herabkreiste.
     Die Menge lief auseinander; das Spähflugzeug schwebte davon. Der rothaarige Mann stand ungefährdet im Schatten und erkannte, daß das Feuer nicht gelöscht werden konnte. Ein Feuerwehrschiff der Polizei spritzte einige Zeit vergeblich Schaum und zog sich zurück. Das Feuerwehrschiff zögerte und sank dann unter das Dachgeschoß, um ein Ausbreiten des Brandes zu verhindern. Der »Drifter« war schon zugrunde gegangen. Der verdorrende Kadaver rollte sich schnell ein, schrumpfte, gab seinen Lebenssaft von sich und zerfiel. Ein schrilles, hohes Kreischen war durch die ganze Straße zu hören; der Lebenssaft protestierte vergeblich gegen das Feuer. Dann verkohlte das restliche Gewebe und löste sich in rauchende Teilchen auf. Das Feuerwehrschiff schwebte empor, spritzte ein paarmal und flog davon.
     »Das war’s«, sagte der rothaarige Mann in sein Feldtelefon. Er spürte eine tiefe, anhaltende Befriedigung, weil er wußte, daß er persönlich das fremde Lebewesen getötet hatte. »Jetzt können wir weitermachen.«

    VIII

     Auf der hell beleuchteten Bühne tanzten und gestikulierten farbige Gestalten. Die kostümierten Figuren sangen laut und begeistert; die Kulissen schimmerten; am anderen Ende des Saales leuchtete ein kleines Viereck. Der dritte Akt ging seinem Ende zu. Alle Figuren waren auf der Bühne und lieferten präzise ihre Stichworte. Im Orchesterraum spielten die Musiker wie besessen.
    Beherrscht wurde die Oper von der alternden, imposanten Gestalt Gaetano Tabellis. Er hatte seine beste Zeit lange hinter sich, war aber immer noch ein großartiger Sänger und Schau spieler. Mit gerötetem Gesicht und kurzsichtig watschelte der berühmte Tabelli über die Bühne; er hatte einen Ausdruck völliger Verwirrung auf seinem Gesicht und war auf groteske Weise bemüht, im schattenhaften Irrgarten der Welt Beaumarchais’ einen Weg zu finden. Tabelli starrte durch sein Monokel auf die Mitmenschen und sang pausenlos mit seiner gewaltigen Baßbaritonstimme. Einen besseren Don Bartolo hatte es nie gegeben. Es würde ihn nie geben. Diese Vorstellung, dieser Gipfelpunkt an Opernregie, dramatischer Kraft und vollkommener Stimmkunst, war für alle Zeiten konserviert. Tabelli war schon seit zehn Jahren tot. Die farbigen Gestalten auf der Bühne waren genaue Roboternachbildungen.
     Trotzdem war die Vorstellung völlig überzeugend. Cussick saß entspannt und bequem in seinem Polstersessel und sah angeregt zu. ›La Nozze Di Figaro‹ gefiel ihm. Er hatte Tabelli oft gesehen

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