Die Seltsamen (German Edition)
netten.« Ihre Stimme klang heiser und alt, ein wenig wie die des Feenbutlers, wenn auch freundlicher. Vielleicht ein wenig zu freundlich für jemanden, dessen abgelegene Lichtung gerade von Fremden überfallen worden war.
»Madam, wir sind in einer Angelegenheit von großer Wichtigkeit zu Ihnen gekommen«, sagte Mr. Jelliby.
»Tatsächlich?« Sie kippte die Scherben in einen Katzennapf. Er war voller Milch. »Und wie kann eine alte Grünhexe wie ich solchen vornehmen Herren wie Ihnen helfen? Sind Sie krank? Hat Cholera einen von Ihnen erwischt? Ich habe gehört, dass er in London sehr fleißig ist.«
Mr. Jelliby stampfte die Nässe von seinen Schuhen und nahm den Hut ab. Er? »Nein, nicht Cholera. Wir müssen mit Ihnen über jemanden reden.«
Die Fee richtete sich auf, wobei ihre Gelenke knackten, und eilte mit einem Teekessel zu einem Herd in der Ecke. »Ich kenne nicht mehr viele Jemande. Um wen handelt es sich denn?«
»Um den Justizminister. John Lickerish.«
Fast hätte die greise Fee den Kessel fallen lassen. Sie fuhr herum und sah sie an. »Ach«, flüsterte sie mit flatternden Augenlidern. »Ach, ich habe es doch nicht böse gemeint. Was auch immer er getan hat, was auch immer er tut, ich habe es nicht böse gemeint.«
Mr. Jellibys Hand glitt zum Griff seiner Pistole. »Wir sind nicht hier, um Ihnen etwas vorzuwerfen, Madam«, sagte er ruhig. »Wir benötigen Ihre Hilfe. Wir verfügen über hinreichende Beweise, dass Sie mit Mr. Lickerish in Verbindung stehen, und wir müssen wissen, warum. Bitte, wir müssen das wissen!«
Die Fee vergrub die Finger in ihrer Schürze und begann, auf und ab zu gehen. Der Wagenboden knarrte bei jedem ihrer Schritte. »Ich kenne ihn gar nicht. Jedenfalls kaum. Es ist nicht meine Schuld!« Sie blieb stehen und sah sie an. »Sie werden mich nicht mitnehmen, oder? Nicht in die Stadt mit ihren grässlichen Ausdünstungen? Ach, ich würde zugrunde gehen!«
»Bitte, Madam, beruhigen Sie sich. Wir haben nicht vor, Sie irgendwohin mitzunehmen. Wir möchten lediglich, dass Sie uns erzählen, was vorgefallen ist. Und zwar alles.«
Der Blick der Fee huschte zwischen den Pistolen und Mr. Jelliby hin und her. Dann kehrte sie zum Herd zurück. Der Tee gluckerte, als sie ihn in blaue Porzellantassen eingoss. »Alles…«, sagte sie. »Sie würden an Altersschwäche sterben, bevor ich nur mit der Hälfte fertig wäre.« Sie brachte den Tee und ließ sich in ihren Schaukelstuhl fallen.
Bartholomew rührte seine Tasse nicht an. Hettie ist nicht hier. Hier war rein gar nichts, außer einer verrückten alten Fee. Sie sollten wieder gehen, über die Felder rennen und mit der Kutsche nach Leeds zurückfahren. Nicht Tee trinken. Er zupfte Mr. Jelliby am Ärmel und wollte etwas sagen, aber die Fee bemerkte es und kam ihm zuvor.
»Das Leben hier draußen ist hart«, sagte sie in gereiztem Tonfall. »Die Leute in den Städten arbeiten in den Fabriken, immer von Maschinen und Kirchenglocken und Eisen umgeben. Und sie verlieren ihre Magie. Das könnte ich nicht. Hier draußen kann ich an Teilen davon festhalten. Nur an winzigen Fitzelchen. Nicht wie zu Hause. Nicht ganz. Aber viel fehlt nicht. Es ist so nahe an meiner Heimat wie nur möglich.« Bartholomew wusste, dass sie von dem Land sprach, aus dem die Feen ursprünglich stammten. Sie musste wirklich sehr alt sein.
»Von irgendwas muss ich ja leben!«, jammerte die Feenfrau. »Ich bin nur eine alte Grünhexe, und niemand braucht mehr meine Hilfe. Manchmal, wenn ihre Kinder Blut husten, kommen Feen aus den großen Städten, aber viel können sie nicht zahlen. Und die arme Dolly musste ich um Leim verkaufen, seither kann ich auch nicht mehr herumreisen. Von irgendwas muss ich schließlich leben!« Ihre Augen begannen, seltsam zu funkeln. »Der Justizminister schickt mir Gold.«
»Tatsächlich?«, sagte Mr. Jelliby kalt. »Und wussten Sie, dass er Mischlinge ermorden lässt? Oder bezahlt er Sie so gut, dass Ihnen das gleichgültig ist? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns jetzt erklären würden, worum es bei alldem eigentlich geht. Offen und ehrlich. Was hat der Justizminister vor?«
Die Grünhexe sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen; Bartholomew vermutete, dass das weniger an Mr. Jellibys Worten lag als an seinem missbilligenden Tonfall. »Das wissen Sie nicht?«, sagte sie. »Sie wollen ihn aufhalten, habe ich recht? Deshalb sind Sie auch hier. Und Sie wissen nicht einmal, was Sie da
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