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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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was hätten Sie tun sollen?« Die Grünhexe wandte sich überrascht zu ihm um. Er hatte seit Stunden nicht mehr gesprochen, und seine Stimme war heiser. »Sie hätten nichts tun können, nicht mehr und nicht weniger. Sie hätten aufhören können, ihm zu helfen. Er hat meine Schwester entführen lassen, wussten Sie das? Sie ist als Nächstes dran, und es ist genauso Ihre Schuld.«
    Die greise Fee starrte ihn einen Moment lang an. Der Feuerschein tanzte in ihren Augen. »Das war nicht meine Schuld. Oh, ganz bestimmt nicht. Schließlich hat Mr.   Lickerish die Kinder getötet. Ich habe nur auf meiner kleinen Lichtung in meinem kleinen Topf gerührt. Will gar nicht dran denken. Will gar nicht dran denken! «
    Mr.   Jelliby machte Anstalten, sich zu erheben. Die Grünhexe fuhr herum und schaute ihm direkt ins Gesicht. Sie lächelte wieder. »Aber letztlich bin ich doch daran schuld, nicht wahr? Ach, es tut mir leid. Und wie! Als ich zum ersten Mal von Mr.   Lickerishs Plan erfahren habe, da dachte ich mir: ›Warum nicht?‹ Was geht es mich an, was in London geschieht? Höchste Zeit, dass die Feen sich von ihren Fesseln befreien. Höchste Zeit, dass die Engländer ihre Lektion lernen. Aber ich habe meine Meinung geändert. Möchten Sie noch etwas Tee? Ich bin zu der Feststellung gelangt, dass Mr.   Lickerish das alles nicht für die Feen tut. Eigentlich macht er es für überhaupt niemanden. Außer für sich selbst. Er behauptet, dass er keine Mauern und Ketten mag, aber in Wirklichkeit findet er sie großartig. Solange er die Mauern errichtet und die Ketten schmiedet. Denn, verstehen Sie, wenn das Feenportal erst einmal offen ist, wird er niemanden einfach so hindurchlassen. Er wird es wie ein großer Wachhund bewachen, und es wird ihm gehören. Es wird immer offen sein, aber er bestimmt, wer hineingeht und wer wieder herauskommt.«
    Bartholomew starrte sie an. Was stimmte nur mit ihr nicht? Er hatte den Eindruck, dass ihr Verstand Kapriolen schlug und sich selbst Lügen erzählte. Sie schaute Mr.   Jelliby unverwandt an, ihre Augenlider und Finger zuckten, und das grässliche Lächeln wich nicht aus ihrem Gesicht.
    »Wenn sich das Portal öffnet, werden viele, viele Geschöpfe sterben«, sagte sie. »Menschen wie Feen werden tot in ihren Betten liegen. In Bath sind zwanzigtausend umgekommen. Weitere einhunderttausend in der Zeit danach. Erinnern Sie sich an den Heiteren Krieg? Den Teerhügel und die Trunkenen Tage? Natürlich nicht. Dafür sind Sie zu jung und zu wohlgenährt. Aber ich erinnere mich daran. Nachdem sich das Portal geöffnet hatte, vergingen Jahre um Jahre, und noch immer herrschten überall Chaos und Blutvergießen. Genau das wird nun auch geschehen. Neue Feen werden kommen, und sie werden wild sein und frei, und sie werden auf den Eingeweiden der Menschen und der törichten, müden englischen Feen tanzen. Denn die Feen, die bereits hier sind, werden nicht wissen, was sie tun sollen. Sie erinnern sich nicht mehr daran, wie sie einmal waren. Ich glaube, sie werden alle sterben, nicht wahr? Zusammen mit den Menschen. Und Mr.   Lickerish wird von einem sicheren Ort aus zuschauen.« Sie sah Mr.   Jelliby voller Bewunderung an. »Aber Sie werden ihn aufhalten…«
    Mr.   Jelliby schob seine Teetasse beiseite. »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte er knapp und zog den Fetzen Papier, den Mr.   Zerubbabel ihm gegeben hatte, aus seiner Westentasche. »Ich habe noch eine weitere Adresse, die Mr.   Lickerishs Botenvögel aufgesucht haben. Sie befindet sich irgendwo in London. Das ist der Ort, nicht wahr? Hat er Ihnen davon erzählt? Ich glaube, dass die Botenvögel Mr.   Lickerish mit allen Orten verbinden, die in seinem Plan eine Rolle spielen – Bath und die Mischlinge, Sie. Und wieder zurück nach London.«
    Das Lächeln der greisen Fee wurde verschlagen. »Oh, Sie sind wirklich schlau! So stattlich und schlau. Wie ist es Ihnen denn gelungen, einen der Botenvögel des Justizministers in die Hände zu bekommen? Wenn er das herausfindet, wird er Sie umbringen lassen.«
    Das hat er bereits versucht, dachte Mr.   Jelliby. Laut sagte er jedoch: »Hören Sie, Madam, für dergleichen Unsinn haben wir keine Zeit. Verraten Sie uns, wie das Portal aussieht und wo wir es finden, und dann lassen wir Sie in Frieden.«
    »Ach, aber ich möchte doch gar nicht, dass Sie mich in Frieden lassen! Bitte gehen Sie nicht! Ich kann Ihnen das alles auf keinen Fall erzählen. Unmöglich, das wäre böse, so böse.

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