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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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machte ihm entsetzliche Angst.
    Der böse Junge mit dem Kohleneimer. Du solltest genauso bewusstlos sein wie die anderen auch. Ist Arthur Jelliby bei dir? Das würde mir eine Menge Ärger ersparen.
    Bartholomews Arme begannen zu schmerzen. Durch den dünnen Stoff seiner Ärmel schimmerte ein roter Lichtschein. Die Linien leuchteten wieder.
    Da entdeckte er eine Kiste, die aus einem Stapel herausragte. Er sauste um sie herum und ging mit geschlossenen Augen hinter ihr in die Hocke. Mr.   Jelliby versuchte, ihn wieder hochzuziehen, aber Bartholomew schüttelte den Kopf.
    »Sie müssen von hier verschwinden«, flüsterte er. »Mich findet die Kreatur, ganz egal, wo ich mich verstecke. Sie hat meine Witterung aufgenommen. Retten Sie meine Schwester, Mr.   Jelliby. Retten Sie meine Schwester, und ich versuche später, Sie wiederzufinden.«
    Höre ich da ein Flüstern? Leise Lügen in der Finsternis? Hat dir deine Mutter denn nicht beigebracht, dass es nicht nett ist, hinter dem Rücken anderer Leute zu flüstern?
    Mr.   Jelliby sah Bartholomew ernst an. Nickte einmal kurz. Klopfte ihm auf die Schulter und kroch mit einem letzten halbherzigen Lächeln auf die krumm dasitzende Gestalt von Dr.   Harrow zu.
    Ach, aber natürlich, krächzte die Stimme. Deine Mama schläft ja, habe ich recht? Keine Sorge, in ein paar Tagen wird sie aufwachen, völlig ausgehungert und fast verdurstet. Und sie wird glauben, dass sie tausend Jahre geschlafen hat, so sehr wird sich die Welt verändert haben. Ihre allerliebsten Kinder. Die Kinder Nummer zehn und elf. Wie sehr sie sie vermissen wird. Aber sie werden sich genauso verändert haben. O ja. Sogar sehr.
    Bartholomew schloss die Augen noch fester und drückte seine Wange gegen das rauhe Holz der Kiste. Mutter wird uns nicht vermissen, dachte er. Warum auch? Ganz in der Nähe kratzten Klauen über Stein. Wir werden nach Hause kommen, Hettie und ich. Nach Hause, nach Hause, nach Hause…
    »Nein«, fauchte eine Stimme. Jetzt hörte er sie nicht mehr in seinem Kopf. Sondern direkt auf der anderen Seite der Kiste. Eine Hand, deren Finger aus ineinander verschlungenen Rattenschwänzen bestanden, legte sich auf den Deckel. Dann kam ein Gesicht zum Vorschein, die Zähne gebleckt. »Nein, Bartholomew Kettle, das werdet ihr nicht.«
    Ein kleiner buckliger Gnom betrat Mr.   Lickerishs Arbeitszimmer und verbeugte sich so tief, dass seine braune Knollennase nur Zentimeter von dem prächtigen Teppich entfernt war.
    » Mi Sathir erlaubt mir zu sprechen, ja? Mi Sathir wird mir zuhören? Unten im Lagerhaus ist eine große schwarze Katze gefunden worden. Eine äußerst sonderbare Katze mit zu vielen Zähnen. Sie trägt eine Flasche um den Hals. Wir vermuten, dass die Grünhexe sie geschickt hat, ja?«
    »Ah«, sagte Mr.   Lickerish und gestattete sich ein Lächeln. »Meine verrückte kleine Hexe war also fleißig. Ich befürchtete schon, wir würden noch einen weiteren Tag warten müssen. Bring sie mir. Die Flasche, meine ich. Die Kreatur kannst du verscheuchen.«
    Fast eine halbe Stunde wurde von den Messingzeigern der Uhr abgezählt, bevor der Gnom wieder erschien. Sein Gesicht und seine Hände waren von Kratzern bedeckt. Er drückte sich eine vollkommen runde Glasflasche an die Brust. Die Flasche war mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt. Den Blick auf den Boden gerichtet, trippelte der Gnom zum Schreibtisch, stellte die Flasche darauf und ging rückwärts und, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer.
    Mr.   Lickerish wartete, bis die Tür ins Schloss fiel. Dann nahm er sein Taschentuch und polierte die Flasche so lange, bis das dicke Glas funkelte. Die Flüssigkeit darin war wunderschön. Sie war weder schwarz noch blau oder violett, sondern irgendetwas dazwischen. Er hielt sie gegen das Licht und bewunderte die Farben. Schaute sie sich genauer an. In der Flasche schwamm etwas – kaum sichtbar mitten in der Flüssigkeit.
    Seine Augen wurden groß. Es war eine Feder. Eine makellose Metallfeder, an deren Kiel noch die geborstenen Rädchen eines Federwerksperlings hingen.
    Bartholomew und die Rattenfee fuhren in einem dampfbetriebenen Aufzug himmelwärts. Sie glitten an dem Kabel hinauf, mit dem das Luftschiff auf dem Dach des Lagerhauses verankert war. Die Kabine hatte keine Wände – nur ein Geländer und einen Gitterboden –, und je höher sie kamen, umso kälter wurde es. Der Wind zerrte an Bartholomews Haaren und fuhr ihm eisig durch Umhang und Hemd. Die Hände der Rattenfee hielten ihn an

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